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Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
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vorbei, ehe ich - wenn ich das Geld gehabt hätte - in einen Laden hätte gehen und sagen können: »Ich nehme eine Tüte von denen da« - Toffees und Anisbonbons. Vorher kriegte man bloß zu hören: »Hast du dein Rationierungsheft dabei?« Das Geräusch des Stempels, der aufs Papier klatscht. Eine Ration war eine Ration. Eine kleine braune Papiertüte, eine winzige, für eine ganze Woche .
    Bert und Doris hatten in der gleichen Fabrik in Edmonton gearbeitet - er als Drucker, sie im Büro. Dort lernten sie sich kennen und zogen dann in Walthamstow zusammen. Vor dem Krieg, als er um sie warb, unternahmen sie viele Rad- und Campingtouren. Das brachte sie zusammen. Sie kauften sich ein Tandem und machten Touren nach Essex und Campingausflüge mit Freunden. Als ich geboren war, packten sie mich, sobald es ging, hinten auf ihr Tandem. Das muss sofort nach dem Krieg gewesen sein, vielleicht auch noch während des Krieges. Ich habe die Vision, wie wir bei einem Luftangriff unbeirrt weiterradeln - Bert vorne, Mum dahinter und ich in einem Babysitz auf dem Gepäckträger, kotzend wegen des Sonnenstichs, den ich mir in der gnadenlosen Hitze eingefangen habe. Das ist die Geschichte meines Lebens - immer on the road .

    In der ersten Kriegszeit - vor meiner Geburt - fuhr Doris den Lieferwagen einer Genossenschaftsbäckerei. Obwohl sie ihnen gesagt hatte, dass sie gar nicht fahren könne. Glücklicherweise waren in jenen Tagen kaum Autos auf den Straßen. Einmal nahm sie verbotenermaßen den Wagen, um einen Freund zu besuchen, setzte ihn gegen eine Mauer und wurde trotzdem nicht gefeuert. Für Brotauslieferungen, die nicht so weit entfernt waren, nutzte sie ein Pferdegespann, damit sich die Genossenschaft das in Kriegszeiten knappe Benzin sparen konnte. Doris war für die Kuchenverteilung in einem großen Gebiet zuständig. Ein halbes Dutzend Kuchen für dreihundert Menschen. Und sie entschied, wer die bekommen würde. »Kann ich nächste Woche einen Kuchen haben?« - »Hatten Sie nicht erst letzte Woche einen?« Ein heldenhafter Krieg. Bert war bis zum D-Day in einem kriegswichtigen Betrieb beschäftigt, der Elektronenröhren herstellte. Nach der Invasion war er in der Normandie Kradmelder gewesen und bei einem Mörserangriff verwundet worden. Er war der einzige Überlebende. Der Überfall bescherte ihm eine hässlich klaffende Wunde - später eine bleiche Narbe, die sich über den ganzen linken Oberschenkel zog. Ich wollte immer so eine haben, wenn ich mal groß wäre. Ich: »Was ist das, Dad?« Er: »Das hat mich aus dem Krieg geholt, Sohnemann.« Bis zu seinem Lebensende litt er unter Alpträumen. Mein Sohn Marlon hat in den letzten Jahren viel Zeit mit seinem Großvater Bert in Amerika verbracht, und die beiden sind häufig zusammen campen gewesen. Marlon sagt, dass Bert oft mitten in der Nacht schreiend aufgewacht sei und gerufen habe: »Pass auf, Charlie, da kommt das Scheißding. Wir gehen alle drauf! Wir gehen alle drauf! Scheiße, verdammte Scheiße!«
    Jeder, der aus Dartford stammt, ist ein Dieb. Das liegt uns im Blut. Der unabänderliche Charakter dieses Ortes ist in einem alten Vers verewigt: »Sutton for mutton, Kirkby for beef, South Darne for
gingerbread, Dartford for a thief.« Zu seinem damaligen Reichtum kam Dartford durch Raubüberfälle auf die Postkutsche, die von Dover nach London über die alte Römerstraße fuhr, die Watling Street. Der East Hill ist sehr steil. Und plötzlich ist man im Tal und auf der anderen Seite des Flusses Darent. Der Fluss war schmal, aber dann folgte die kurze High Street, und man musste den West Hill hoch, wo die Pferde mächtig zu schnaufen hatten. Egal, aus welcher Richtung man anrückte, das war die perfekte Stelle für einen Hinterhalt. Die Kutscher bremsten erst gar nicht ab, um sich rumzustreiten. Der Dartford-Obolus war schon im Fahrpreis inbegriffen, damit die Reise glatt weitergehen konnte. Sie warfen einfach den Beutel mit den Münzen aus der Kutsche. Wenn man nämlich nicht zahlte, gaben sie ein Zeichen, sobald man den East Hill herunterfuhr. Ein Schuss - er hat nicht bezahlt -, und am West Hill wurde man dann endgültig gestoppt. Sie konnten also auf jeden Fall abkassieren. Man hatte keine Chance.
    Als Züge und Autos den Transport übernahmen, war es mit dieser Geschäftsidee allerdings vorbei, und so haben sich die Leute wahrscheinlich um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nach einer anderer Möglichkeit umgetan, um diese Tradition irgendwie fortzuführen.

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