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Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
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getürmt.

    Außer den Irrenhäusern gab es nur noch Wells, eine Fabrik für Feuerwerkskörper, die lediglich aus ein paar vereinzelten Hütten im Moor bestand. Die flog eines Nachts in den Fünfzigern in die Luft, zusammen mit ein paar Typen. Sensationell! Als ich aus dem Fenster schaute, dachte ich, der Krieg wäre wieder ausgebrochen. Die Fabrik produzierte damals Zwei-Penny-Böller, Römische Lichter und Goldregen. Und Knallfrösche. Daran erinnert sich jeder aus der Gegend - denn bei der Explosion flogen im Umkreis von mehreren Meilen alle Fenster raus.
    Unsere Fahrräder, die waren wichtig für uns. Mein Kumpel Dave Gibbs, der in Temple Hill wohnte, und ich hatten die coole Idee, an die Gabel vom Hinterrad kleine Pappstreifen zu kleben, die bis in die Speichen reichten und scheppernde Geräusche machten, wenn man fuhr, fast wie ein Motor. »Macht die Scheißdinger ab«, bekamen wir dauernd zu hören. »Bei dem Krach kriegt man ja kein Auge zu.« Also sind wir ins Moor und in die Wälder an der Themse gefahren. Die Wälder waren gefährliches Terrain. Da trieben sich üble, beinharte Typen rum, die uns anschrien, dass wir uns verpissen sollten. Also nahmen wir die Pappstreifen tatsächlich wieder ab. Das waren Verrückte und Landstreicher, viele waren auch Deserteure der britischen Armee, so ähnlich wie die japanischen Soldaten, die nicht wussten, dass der Krieg vorbei war. Manche von denen lebten schon seit fünf oder sechs Jahren dort. Sie hatten sich einen Wohnwagen oder ein Baumhaus zusammengeflickt, und da hausten sie dann. Brutale, versiffte Schweinehunde. Meine erste Kugel hat mir einer von diesen Pennern verpasst - eine Luftgewehrkugel in den Hintern, guter Schuss. Einer unserer Treffpunkte war ein Unterstand, ein alter Maschinengewehrposten, von denen es an diesem Abschnitt der Themse jede Menge gab. Dort machten wir uns über die »Literatur« her, die zusammengeknüllt in der Ecke lag und ausschließlich aus Pin-up-Fotos bestand.

    Eines Tages fanden wir dort einen toten, zusammengekrümmten Tramp, auf dem die Schmeißfliegen herumkrabbelten. Überall Schmuddelmagazine und benutzte Kondome. Fliegen schwirrten umher. Der Typ lag wohl schon seit Tagen da. Wir haben die Beine in die Hand genommen und nie jemandem ein Wort davon gesagt.
    Ich weiß noch, wie ich von Tante Lils Haus das erste Mal zur Vorschule musste, zur West Hill School, und mir die Lunge aus dem Leib geschrien habe. »Ich geh da nicht hin, Mum, ich geh da nicht hin!« Ich weigerte mich, trat um mich, sagte Nein und immer wieder Nein, aber gegangen bin ich trotzdem. Erwachsene, die hatten eine ganz spezielle Art. Ich habe mich gewehrt, wusste jedoch gleichzeitig, das ist der Moment der Wahrheit. Doris fühlte mit mir, aber nicht allzu sehr. »So ist das Leben, Junge, dagegen kann man sich nicht wehren.«
    Ich erinnere mich an meinen Cousin, Tante Lils Sohn. Großer Bursche. Er war mindestens fünfzehn und hatte einen unvorstellbaren Charme. Er war mein Held. Er hatte ein kariertes Hemd! Und er ging aus, wann er wollte. Ich glaube, er hieß Reg. Meine Cousine Kay hingegen nervte mich, weil sie so lange Beine hatte und immer schneller war als ich. Jedes Mal kam ich nur als Zweiter ins Ziel. Aber sie war auch älter. Mit ihr zusammen bin ich das erste Mal auf einem Pferd geritten, ohne Sattel. Auf einer herrlichen alten Schimmelstute, die ihr Gnadenbrot bekam, wenn man das bei uns in der Gegend überhaupt so nennen konnte. Die wusste kaum, wie ihr geschah. Wir und ein paar Kumpels kletterten auf den Zaun, und von da rutschten Cousine Kay und ich irgendwie auf den Rücken der Stute. Gott sei Dank war sie lammfromm, denn wäre sie durchgegangen, wäre ich in hohem Bogen durch die Luft geflogen. Ich hatte nämlich keinen Strick zum Festhalten.
    Ich hasste die Vorschule. Schule überhaupt. Doris sagte, ich sei nach der Schule oft so durch den Wind gewesen, dass sie mich
huckepack nach Hause tragen musste. Ich konnte offenbar vor lauter Zittern nicht laufen. Und dabei war das noch vor den Hinterhalten und den Prügeleien. Das Essen war grauenhaft. Ich weiß noch, dass ich in der Vorschule Gypsy Tart essen sollte, einen süßen Kuchen, den man mit Büchsenmilch machte. Irgendein verbranntes schmieriges Zeug war da drin, Marmelade oder Karamell. Ekelhaft. Ich weigerte mich. Jedes Schulkind kannte diesen Kuchen, und manche mochten ihn sogar. Aber Nachtisch stellte ich mir anders vor. Unter Androhung von Strafe wollten sie mich zwingen, den Kuchen

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