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Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
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zu essen. Genau wie bei Dickens. Also musste ich mit meiner Kinderschrift dreihundertmal schreiben: »Ich werde mein Essen essen.« Schließlich hatte ich den Dreh raus: »Ich, ich, ich, ich … werde, werde, werde, werde …«
    Ich war berüchtigt für meine Ausraster. Als wenn sonst keiner ausgerastet wäre. Meine Ausraster kamen jedenfalls von der Gypsy Tart. Rückblickend betrachtet, hatte das durch den Krieg aus der Bahn geworfene britische Erziehungswesen nicht viel geeignetes Personal vorzuweisen. Der Sportlehrer war gerade noch Nahkampfausbilder gewesen und sah keinen Grund, warum er uns anders behandeln sollte, obwohl wir erst fünf oder sechs Jahre alt waren. Alle Lehrer waren in der Army gewesen. Alle waren im Zweiten Weltkrieg gewesen, und einige von ihnen kamen frisch aus Korea. Mit deren Art von Brüllpädagogik wurden wir also erzogen.
     
    Dafür, dass ich die frühen Zahnärzte des National Service überlebte, hätte ich eigentlich einen Orden verdient. Ich glaube, man hatte zwei Untersuchungen pro Jahr, die in der Schule durchgeführt wurden und zu denen ich kreischend am Arm meiner Mutter ging. Es kostete sie einiges von ihrem schwer verdienten Geld, um mir danach etwas zu kaufen, denn jeder Termin war die reine
Hölle. Es gab keine Gnade. »Halt den Mund, Junge.« Eine rote Gummischürze, wie bei Edgar Allan Poe. In jenen Jahren 1949 und 1950 hatten sie noch ziemlich klapprige Apparaturen, riemengetriebene Bohrer und Folterbankgurte, die einen an den Stuhl fesselten.
    Der Zahnarzt war auch in der Army gewesen. Das hat meine Zähne ruiniert. Meine Angst vor dem Zahnarzt zeitigte bis Mitte der Siebziger sichtbare Folgen - einen Mund voll schwarzer Zähne. Lachgas war teuer, also bekam man nur einen Hauch davon. Außerdem kassierten sie für eine Extraktion mehr als für eine Füllung. Also alles raus. Sie rissen die Zähne einfach raus, mit dem winzigsten Hauch von Gas. Und mittendrin wachte man auf, sah den roten Gummischlauch und die Maske und glaubte, man wäre ein Bomberpilot, nur dass man keinen Bomber hatte. Die rote Gummimaske und der Mann beugten sich über einen wie Laurence Olivier in Der Marathon Mann. Das war das einzige Mal, dass ich den Teufel so sah, wie ich ihn mir vorstellte. Ich träume von ihm und seinem Dreizack und wie er sich schlapplacht, und dann wache ich auf, und er sagt: »Hör auf zu flennen, Junge. Da warten noch zwanzig andere draußen.«
    Und was sprang für mich dabei heraus? Ein billiges Spielzeug, eine Plastikknarre.
     
    Schließlich wurde uns von der Kommune eine Wohnung in einer Ladenzeile in der Chastilian Road zugewiesen, über einem Obst-und Gemüsehändler, zwei Zimmer plus Wohnzimmer. Die gibt es immer noch. Mick wohnte eine Straße weiter, in der Denver Road. Posh Town 1 nannten wir die Gegend - der Unterschied war der
zwischen freistehendem Haus und Doppelhaushälfte. Mit dem Fahrrad waren es fünf Minuten ins Dartford Heath, und meine nächste Schule war nur zwei Straßen entfernt: die Wentworth Primary School, auf die Mick und ich zusammen gingen.
    Vor gar nicht so langer Zeit war ich mal wieder dort, um ein bisschen Dartford-Luft zu schnuppern. In der Chastilian Road hat sich nicht viel verändert. Der Obst- und Gemüsehändler ist jetzt ein Blumenladen namens Darling Buds of Kent, dessen Besitzer fast im gleichen Augenblick, als ich den Gehweg betrat, mit einem gerahmten Foto aus seinem Laden geschossen kam und mich um ein Autogramm bat. Er schien mich praktisch erwartet zu haben, hatte das Foto griffbereit und war nicht im mindesten überrascht, ganz so, als käme ich einmal die Woche vorbei. Dabei war ich seit fünfunddreißig Jahren nicht mehr hier gewesen. Auf dem Weg hoch zu unserer alten Wohnung erinnerte ich mich genau an die Anzahl der Treppenstufen. Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren betrat ich mein altes Zimmer in dem Haus, das jetzt der Blumenhändler bewohnte. Ein winziges Zimmer, völlig unverändert, und gegenüber, auf der anderen Seite des ein Meter breiten Gangs, das ebenso winzige Zimmer von Bert und Doris. Da hatte ich von 1949 bis 1952 gelebt.
    Auf der anderen Straßenseite befanden sich der Co-op und der Metzger - dort hatte mich damals der Hund gebissen. Mein erster Hundebiss, von einem bösartigen Scheißvieh, das vor der Tür angekettet gewesen war. An der Ecke war Finlays Tabakladen gewesen. Der Briefkasten hing noch an derselben Stelle; davor auf dem Ashen Drive hatte eine Bombe ein riesiges Loch gerissen, von dem jetzt

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