Life - Richards, K: Life - Life
und sie gewann mein Herz. Wir redeten mit den Händen oder malten uns Bildchen. Auch wenn wir nicht miteinander sprechen konnten, hatte ich doch eine Freundin gefunden. Einfach so. Ich liebte sie sehr. In den Siebzigern waren wir immer mal wieder zusammen, bis sie schließlich mit ihrer neuen Liebe Dieter Bockhorn nach Afghanistan ging und aus meinem Kopf und meinem Herzen verschwand. Dann hörte ich, dass sie bei einer Fehlgeburt in der Türkei gestorben sei. Was nur fast stimmte. Die wahre Geschichte erfuhr ich erst viele Jahre später an einem Strand in Mexiko, an einem der wichtigsten Tage meines Lebens.
1973 war ein Jahr schlimmer Verluste. Gegen Ende des Sommers starb mein Großvater Gus, dann beging mein guter Freund Michael Cooper Selbstmord. Er war eine labile Persönlichkeit, und ich hatte diese Möglichkeit immer im Hinterkopf gehabt. Die Guten starben und ließen mich zurück. Und was bedeutete das für mich? Es gab nur eine Antwort: Ich musste mir neue Freunde suchen. Doch dann klinkten sich auch die noch Lebenden aus dem aktiven Stones-Dienst aus. Jimmy Miller konnte unser Tempo nicht mehr mithalten und verfiel den Drogen. Während er an Goats Head Soap arbeitete, seinem letzten Album für uns, schnitzte er Hakenkreuze ins Mischpult. Andy Johns hielt bis Ende des Jahres durch. Dann wurde er bei den Aufnahmen zu »It’s Only Rock’n’Roll« in München gefeuert, und zwar aus den gleichen Gründen: zu oft und zu viel von dem
harten Stoff (obwohl er das überlebte und heute guter Dinge ist). Und dann auch noch mein Kumpel Bobby Keys, den ich etwa um die gleiche Zeit nicht vor seinem Rock’n’Roll-Schiffbruch bewahren konnte.
Er lief in einer Badewanne voll Dom Pérignon auf Grund. Es hieß, Bobby Keys sei der einzige Mensch, der wüsste, wie viele Flaschen man für ein Champagner-Vollbad brauchte. Und genau darin räkelte er sich an dem Tag, als in Belgien der vorletzte Gig unserer’73er-Europa-Tournee auf dem Terminplan stand. Als die Band sich vor dem Auftritt versammelte, war Bobby nicht da. In seinem Hotelzimmer ginge niemand ans Telefon - ob ich nicht wüsste, wo mein Kumpel sich rumtriebe. Ich ging also hoch und entdeckte ihn im Bad. Er lag mit einer Zigarre und irgendeiner französischen Mieze in der Wanne voll Champagner. »Hey, Bob, Zeit zum Abmarsch, aber flott.« Und er: »Verpiss dich!« Na gut. Starker Auftritt, Bob, muss ich schon sagen, könnte sein, dass du das noch mal bereust. Der Buchhalter informierte Bobby später darüber, dass ihn das Champagnerbad nicht nur die gesamte Gage für die Tour kostete, er musste sogar noch draufzahlen. Es dauerte zehn gottverdammte Jahre, bis ich ihn wieder in die Band holen konnte. Mick blieb unerbittlich, und das mit recht. Bei solchen Sachen kann Mick gnadenlos sein. Ich konnte nicht für Bobby sprechen, ich konnte ihm nur dabei helfen, clean zu werden. Was ich auch tat.
Ich selbst landete Anfang’73 auf der Todesliste der johlenden Pressemeute, und zwar zuerst in den Musikmagazinen. Ein neuer Aspekt, der nicht so sehr an der Musik interessiert war. Der New Musical Express stellte eine Top-Ten-Liste der Rockmusiker auf, die wahrscheinlich als Nächste sterben würden, und setzte mich auf Platz eins. Ich war - unter anderem - der Prince of Darkness. Es hieß, kein Mensch auf der Welt sei eleganter abgefuckt als ich.
Diese Ehrentitel, die mir bis in alle Ewigkeit anhängen werden, wurden damals geprägt. In dieser Zeit hatte ich oft das Gefühl, dass die Leute mir den Tod wünschten, sogar die, die es gut mit mir meinten. Am Anfang war man bloß eine neue, flüchtige Mode. Dafür hielten sie den Rock’n’Roll auch, noch bis in die Sechziger. Als Nächstes hofften sie, dass man sich wieder verpisste. Und schließlich, wenn man sich nicht verpisste, wünschten sie einem den Tod an den Hals.
Zehn Jahre war ich auf dieser Liste die Nummer eins! Ich musste immer wieder darüber lachen. Das war die einzige Hitliste, bei der ich zehn Jahre lang an der Spitze stand. Irgendwie war ich stolz darauf. Ich glaube nicht, dass irgendwer sonst das so lange geschafft hat. Tatsächlich war ich ein wenig enttäuscht, als ich ein paar Plätze runterrutschte. Schließlich landete ich auf Platz neun. O mein Gott, jetzt ist alles aus.
Diese Leichenbeschwörung wurde angeheizt durch die Gerüchte, ich hätte in der Schweiz mein Blut austauschen lassen - was vielleicht das Einzige ist, was wirklich jeder über mich zu wissen scheint. Kein Problem für
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