Light & Darkness
01. K apitel
»Vom Staat benannte Bürger, sogenannte Delegierte, verpflichten sich aus freiem Willen den ihnen zugewiesenen paranormalen Bürgern Schutz und Sicherheit zu gewähren. Delegierte sammeln ihre erste Praxiserfahrung mit Vollendung des 17. Lebensjahres.«
(Buch der Delegation, Artikel 2)
22. November 2047
»Beeil dich«, zischte Kane. Light drückte seine kalte Hand und gemeinsam rannten sie durch den menschenleeren Schulkorridor. Ihre Schritte hallten von den Wänden wieder. Sie liefen durch den Gang, der zu ihrem Klassenzimmer führte. Light keuchte, sie hatte bereits Seitenstechen. Kane verlangsamte seine Geschwindigkeit, als sie sich dem Raum näherten, und ließ ihre Hand los.
»Alles in Ordnung?«
Augenblicklich verflüchtigte sich die Gänsehaut auf ihrem Arm und Wärme kroch in ihre Fingerspitzen.
»Alles bestens«, presste sie schwer atmend hervor und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. »Unglaublich, der letzte Schultag vor meiner Delegation und ich komme zu spät.«
»Jeder kommt Mal zu spät«, erwiderte Kane mit einem Lächeln. Angedeutete Grübchen formten sich auf seinen Wangen. »Es ist nicht unsere Schuld. Wer konnte denn ahnen, dass Jude krank wird?«
»Delegat Roland wird es egal sein, dass wir uns heute Morgen noch um meinen hustenden Bruder kümmern mussten«, seufzte Light. Sie blieb vor der verschlossenen Tür stehen. »Er wird uns nachsitzen lassen. Ich komme zu spät und sie vergeben mein Wesen an jemand anderen.«
»Blödsinn.« Kane rollte mit den Augen. »Erstens bist du Rolands Lieblingsschülerin, zweitens lebt er für die Delegation. Er würde nicht zulassen, dass du deine verpasst. Und drittens wurde dieses Wesen für dich ausgewählt und niemand anderen sonst.«
In diesem Moment wurde die Tür zum Klassenzimmer aufgestoßen. Vor ihnen stand Anna, Lights beste Freundin, die Hände in die Hüfte gestemmt.
»Wo wart ihr?«
Eine kleine Falte bildete sich auf ihrer blassen, mit Sommersprossen übersäten Stirn. Rotes Haar fiel ihr über die Schultern und wellte sich bis zur Taille. Obwohl Winter war, trug sie ein ärmelloses Shirt.
»Jude ist krank«, erwiderte Kane, als wäre das Erklärung genug.
Anna nickte. »Ihr habt Glück. Roland ist noch in einer Besprechung. Ich wollte euch gerade anrufen.« Sie schob ihr Handy zurück in die Hosentasche. Zum Leidwesen der Schüler hatte man den Handyempfang im ganzen Schulgebäude eingedämmt. Man konnte keine Nachrichten versenden oder empfangen. Es sei denn, man wusste von dem Empfang in der Mädchentoilette bei gekipptem Fenster.
»Siehst du«, sagte Kane selbstgefällig, während sie Anna ins Klassenzimmer folgten. »Kein Nachsitzen. Du verpasst deine Delegation nicht.«
Anna klatschte begeistert in die Hände. »Ich kann es gar nicht erwarten, dein zukünftiges Wesen kennenzulernen.« Dann wurde ihr Gesichtsausdruck ernst. »Aber was wirst du anziehen?«
Light legte den Rucksack auf ihren Tisch und ließ sich in den Stuhl sinken. Kane machte es sich neben ihr gemütlich. Anna, die eine Reihe vor ihnen saß, beugte sich erwartungsvoll nach hinten. Ihre glänzenden Augen flehten Light regelrecht an, ihr die Auswahl des Kleides zu überlassen.
»Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht«, log Light. In Wirklichkeit hatte sie den gestrigen Abend damit verbracht, sich für das grüne Cocktailkleid zu entscheiden. »Du kannst mir helfen. Komm einfach nach der Schule vorbei.«
»Danke! Du bist die Beste.« Über den Tisch hinweg umarmte Anna sie. »Was glaubst du, was für ein Wesen du bekommst? Ich hoffe auf eine Vampirin. Die meisten von ihnen haben einen guten Modegeschmack und ein volles Bankkonto.«
Kane, der selbst ein Vampir war, zischte verächtlich. »Danke für das Kompliment, aber nicht alle haben ein volles Bankkonto. Jedenfalls kann ich mir Light nicht mit einer Vampirin vorstellen. Ich tippe auf eine Nephilim.«
»Wieso eine Nephilim?« Light zog die Unterlagen aus ihrer Tasche und stellte sie auf den Boden.
»Du bist freundlich, gutherzig, offen und hast ein enormes Pflichtbewusstsein. Du bist klein und zierlich. Was würde besser zu dir passen als ein Engelswesen?«, erklärte Kane mit sanfter Stimme.
»Da ist was dran«, stimmte Anna zu und holte einen Lutscher aus ihrer Tasche. Sie wickelte das rosarote Papier ab und stopfte es zu dem Handy in die Hosentasche. »Hoffentlich ist es keine Werwölfin, das wäre unpraktisch.«
Panisch nickte Light. Seit ihrem siebten Lebensjahr litt
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