Liliane Susewind – Ein Pinguin will hoch hinaus (German Edition)
Lilli entspannte sich.
»Diese ungehobelten Barbaren!«, giftete es aus Jesahjas Rucksack heraus. »Das ist wirklich die Krönung des schlechten Betragens!«
»Jetzt ist alles gut«, beruhigte Lilli Frau von Schmidt, die elegant aus dem Rucksack hüpfte und sich umsah. »Ich entferne mich nun«, informierte sie Lilli und war schon im nächsten Augenblick in der Dunkelheit verschwunden.
»Ich will auch raus!«, bellte Bonsai, und Lilli ließ ihn aus dem Rucksack springen. Der Hund drehte sich dreimal um die eigene Achse und trabte los.
»Wohin willst du?«, rief Lilli.
Bonsai blieb stehen. »Keine Ahnung.« Fragend blickte er Lilli an. »Wo gehst du denn hin?«
»Wir treffen uns hier mit Oberst Essig und Finn.«
»Das ist doch supi!«, wuffte der Hund. »Da mach ich mit.« Hechelnd stellte er sich neben Lilli.
Da traten Frau Essig-Steinmeier und Finn aus dem Haupthaus. Die Direktorin wurde wegen ihres energischen Auftretens von den Tierpflegern liebevoll Oberst Essig genannt, und dieser Name passte sehr gut zu ihr. Der Zoo war unter ihrer Führung perfekt organisiert und lief wie am Schnürchen.
»Ah, Liliane!«, rief die Direktorin schon von weitem und rauschte mit pfeilgeradem Rücken näher. Sie war eine große, hagere Frau mit dunkelbraunem Haar, das am Hinterkopf zu einem Knoten hochgesteckt war. In letzter Zeit trug sie außerdem immer eine Blume im obersten Knopfloch ihrer Jacke. Heute war es eine Amaryllis.
Finn Landmann hastete hinter Frau Essig-Steinmeier her. Finn war achtzehn Jahre alt und noch Auszubildender im Zoo. Dennoch nannte die Direktorin ihn ihren »besten Pfleger«. Finn liebte die Tiere und war aufrichtig um ihr Wohl besorgt. Er hatte blaue Augen und lange hellbraune Haare, die meist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren.
Die beiden kamen nun im Eiltempo zu Lilli, Jesahja und Bonsai herüber. »Liliane. Jesahja. Bonsai«, grüßte Frau Essig-Steinmeier knapp und nickte jedem mit einer zackigen Kopfbewegung zu. »Man hat mich soeben angerufen. In fünf Minuten sind sie da.«
»Oh, gut!« Lilli wickelte aufgeregt eine Locke, die unter ihrer Wollmütze hervorblitzte, um den Zeigefinger.
»Wir treffen sie vor der Anlage. Mir nach!« Die Direktorin schnippte mit den Fingern und stürmte mit großen, schwungvollen Schritten los. Die anderen beeilten sich hinterherzukommen, und liefen ihr im Gänsemarsch nach. An den Papageien und Flamingos ging es vorüber, am Seehundbecken, an den Tapiren, den Bergziegen und den Lamas. Doch Lilli hatte keine Zeit, die Tiere zu begrüßen, die um diese Zeit noch draußen waren. Frau Essig-Steinmeiers Marschgeschwindigkeit war unerbittlich. Erst vor dem Leopardengehege machte sie mit knirschenden Absätzen halt.
»Hier warten wir«, ordnete die Direktorin an, verschränkte die Hände hinter dem Rücken, senkte den Kopf und schloss die Augen. Es sah aus, als wäre sie im Stehen eingeschlafen.
Lilli schaute Finn unsicher an, aber der grinste nur.
Lillis Blick wanderte zu dem Gebäude, das sich direkt gegenüber befand: die neue Pinguinanlage. Dieses wunderschöne große Haus war erst in den vergangenen Wochen errichtet worden und würde die neue Hauptattraktion des Zoos sein. Die Pinguine, die hier ein Zuhause finden sollten, kamen aus aller Welt. Es waren »besondere Fälle«, die in anderen Zoos aufgefallen waren oder dort nicht zurechtkamen. Man hoffte, dass Lilli ihnen helfen konnte. Nicht nur in Deutschland kannte man Liliane Susewind durch die Medien inzwischen als »Tierflüsterin«. Viele Zoos hatten in den letzten Wochen bei Frau Essig-Steinmeier angefragt, ob sie ihre Sorgenkinder zu ihr schicken dürften, damit Lilli sich mit ihnen befasste. Die Direktorin hatte aber stets abgelehnt, um Lilli nicht zu überfordern. Als jedoch überlegt wurde, welche Pinguine die neue Anlage bewohnen sollten, hatte Lilli sich bereit erklärt, sich auch um eine ganze Gruppe Sorgenkinder zu kümmern. Sie fühlte sich sehr geehrt, dass man ihr diese Arbeit zutraute, und sie freute sich auf die Pinguine – obwohl sie auch ganz schön aufgeregt war. Sie hatte noch nie mit einem Pinguin gesprochen!
Da wurde Lilli auf ein merkwürdiges Geräusch aufmerksam, das eine Mischung aus Gurren und Schnurren zu sein schien.
»In der Tat, Verehrteste, in der Tat!«, hörte Lilli eine gezierte Raubkatzenstimme sagen. »Wie sehr ich mich über Ihren Besuch freue, meine Liebe. Mich plagt zuweilen entsetzliche Langeweile!« Ein Seufzen. »Nein, wirklich – ganz reizend
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