Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden um
klar«, murmelte Jesahja. Gleich darauf sagte er lauter: »Ich bin Jesahja, und das ist Lilli.«
»Ich bin Slavikas Sohn –«
»Das interessiert doch keinen!«, unterbrach Wolke ihn.
Tom lachte. »Ist ja gut, Wölkchen. Bin schon weg.« Pfeifend schlenderte er aus dem Sattelraum.
Lilli hatte zwar selbst keine Geschwister, aber sie hatte schon öfter erlebt, dass sich Brüder und Schwestern gegenseitig neckten und aufzogen, obwohl sie sich eigentlich gut verstanden. Das schien auch bei Wolke und Tom der Fall zu sein.
»Welches Pferd reitet Tom?«, erkundigte sich Jesahja.
Wolkes Miene wurde weicher. »Toms Pferd Nikolaus ist vor kurzem gestorben. Nikolaus war schon alt, aber für Tom war es schlimm, ihn zu verlieren. Er ist seitdem auf kein Pferd mehr gestiegen. Und das, obwohl er einer der besten Reiter ist, die ich kenne.« Sobald Wolke merkte, dass sie etwas Nettes über ihren Bruder gesagt hatte, schnitt sie eine Grimasse und zeigte ihnen schnell, wo die Sättel, das Zaumzeug und die Reitkappen waren. Schwer bepackt marschierten die drei wenig später zur Koppel zurück. Dort trippelte Merlin erwartungsvoll auf der Stelle. »Leute, es geht lo-o-o-s!«, wieherte er und schnaubte aufgeregt.
Lilli ließ sich von Merlins guter Laune anstecken. Ungeduldig sah sie Wolke dabei zu, wie sie Darling sattelte. Wolke kletterte dafür auf den Zaun und stemmte den Sattel von dort aus auf den Pferderücken. So verfuhren sie auch mit Wayomi und Merlin, der vor Aufregung kaum stillhalten wollte. Doch schließlich war alles bereit.
»Okay, Lilli«, sagte Wolke. »Steig du als Erste auf.«
Lilli stand vor dem großen Schimmel und blickte ratlos an ihm hinauf. Der Steigbügel baumelte vor ihrer Nase herum. Wie sollte sie es bloß schaffen, ihren Fuß dort hineinzubekommen?
»Führ ihn an den Zaun!«, riet Wolke. »Vom Zaun aus kannst du leicht auf ihn raufklettern.«
Da fragte Merlin: »Kommst du nicht hoch? Du bist ganz schön klein, was? Und ich bin auch noch der Größthöchste hier. Warte, ich komm runter.« Bevor Lilli sich versah, knickte Merlin schon die Vorderläufe ein und kniete sich vor sie.
Wolke fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. »Das gibt’s ja gar nicht …«, keuchte sie. »Das hab ich ihn noch nie machen sehen!«
Nun war es kein Problem mehr für Lilli, mit dem Fuß den Steigbügel zu erreichen. Sie nahm Schwung und stieg auf Merlins Rücken. Kaum saß sie dort, erhob der Schimmel sich auch schon wieder. Lilli klammerte sich am Sattel fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Aber sie hatte keine Angst. Im Gegenteil! Sie fühlte sich pudelwohl.
»Geht’s dir gut?«, fragte Merlin.
»Ja, es ist toll hier oben!«
»Alles klar! Los geht’s!«, jauchzte er und schoss ohne weitere Vorwarnung nach vorn.
Lilli griff verdutzt nach dem Zaumzeug. Wolke hatte ihr erklärt, wie man ein Pferd zügelte oder stoppte. Doch Lilli wollte Merlin eigentlich gar nicht zügeln. Sie mochte den schnellen Trab, mit dem er über die Wiese stob. Zwar wurde sie ordentlich durchgerüttelt, aber schon nach wenigen Augenblicken hatte sie begriffen, dass das Rütteln aufhörte, wenn sie sich im Einklang mit Merlin bewegte und sich bei jedem seiner Schritte im Sattel auf- und niedersetzte.
Wolke und Jesahja standen verblüfft neben ihren Pferden und beobachteten Lilli. »Du hast doch gesagt, du wärest noch nie geritten …«, hörte Lilli Wolkes Stimme hinter sich.
»Das bin ich ja auch noch nie!«
»Dann bist du wohl so was wie ein Naturtalent«, wunderte sich Wolke. »Willst du auch aufsteigen?«, fragte sie Jesahja, und dieser nickte. »Führ sie an den Zaun und –«
Da wieherte Wayomi: »Soll ich mich auch hinknien?«
Lilli antwortete: »Ja, das wäre super!«
»Was wäre super?«, fragte Jesahja, aber schon knickte Wayomi die Vorderbeine ein und brachte ihren Rücken mit Jesahja auf Augenhöhe.
»Das!«, rief Lilli und lachte. Im gleichen Moment verwandelte sich das ausgedörrte Gras unter Merlins Hufen in sattes Grün, und zahllose kleine Wiesenblumen schossen in die Höhe. Lilli schaute sich erschrocken um, doch Wolke hatte es nicht bemerkt. Sie staunte noch über Wayomi. Und während Wolke staunte, tat Darling es Jesahjas Stute gleich und ging ebenfalls in die Knie. »Komm rauf, mein Mä-ä-ä-dchen!«, forderte die Haflingerstute sie auf.
Obwohl Wolke das Wiehern nicht verstand, strahlte sie von einem Ohr zum anderen. Mit einer geschickten Bewegung schwang sie sich auf den Sattel, und Darling
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