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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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ob die beiden da unten mitbekamen, dass sie sie gesehen hatte. Sollten sie. Der Mann hatte doch nicht etwa hier übernachtet? Seit ihr Vater vor sechs Jahren ausgezogen war, war das nicht mehr vorgekommen. Man hätte sie wenigstens vorwarnen können. Eine Sekunde überflutete sie der ganze Schmerz noch einmal, bis sie ihn hinunterschluckte.
    Du bist jetzt sechzehn, dachte sie. Du solltest langsam über diesen Dingen stehen.
    Aber das Stechen blieb, irgendwo in einer Ecke ihres Herzens. Als sie wenig später hinunter ins Bad ging, hatte es sich schon in eine gesunde Wut auf ihre Mutter verwandelt. Keine Schokolade ans Bett, dafür ein fremder Kerl im Haus. Wenigstens hatte er genug Anstand, vor dem Frühstück zu verschwinden.
    »Sabrina?«

    Statt eine Antwort zu geben, drehte sie die Dusche auf. Sie stand so lange unter dem heißen Wasser, bis ihre Fingerspitzen ganz schrumpelig waren. Sie wusste, dass ihre Mutter das vor allem morgens nicht sehr gerne sah. Es war Anfang Juli. Die grüne Lese stand an, das Entblättern, der Pflanzenschutz. Die Tage begannen früh und endeten spät. Sommerferien war auch der Weinberg. Zumindest an den Vormittagen. Das war schon so, seit Sabrina denken konnte, und da verschwendete man weder Wasser noch Zeit.
    Sie war immer noch enttäuscht und wütend, als sie in ihrem Bademantel, das Handtuch zu einem Turban um die langen, braunen Haare geschlungen, in die Küche tappte. Auf dem Herd brodelte ein Topf mit verführerisch duftender Schokolade.
    Franziska Doberstein rührte um und achtete darauf, dass nichts anbrannte. Sie machte die Gasflamme aus, drehte sich um und breitete die Arme aus. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
    Sie wollte sie an sich drücken, doch Sabrina wich ihr aus und setzte sich an den großen Küchentisch, an dem eigentlich bis zu acht Personen Platz hatten. In dieser hektischen Phase des Jahres, in der der Wein und nicht die Ordnung wichtig war, bedeckten Kataloge, Rechnungen, Prospekte und Preislisten fast die gesamte Tischplatte. Nur eine Ecke war frei, die für zwei gedeckt war. Vor Sabrinas Teller stand eine kleine Vase mit Sommerblumen.
    »Wer war das? Etwa meine Überraschung?«
    Franziska nahm den Herd vom Topf und goss die dunkle Flüssigkeit in zwei Müslischalen. Vorsichtig, um sich nicht zu verbrennen, balancierte sie sie hinüber zum Tisch. »Michael. Michael Gerber.«
    »Sollte ich ihn kennen? Habe ich irgendetwas verpasst?«
    Ihre Mutter strich sich verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es fiel Sabrina schwer, sich vorzustellen, was sich zwischen ihr und diesem Herrn Gerber abgespielt hatte. Franziska Doberstein war eine hübsche Frau Mitte vierzig, und Sabrina
hatte von ihr das herzförmige Gesicht mit den leicht schrägen Augen, die so charakteristisch für die Dobersteins waren.
    »Meine Elfen«, hatte ihr Vater sie immer genannt. »Ihr habt mich verhext.«
    Wenn Sabrina an ihre Eltern dachte, hatte sie immer ein Bild vor Augen: Ihr Vater, wie er ihre Mutter zu sich hinunter in den Sessel zog und sie sich lachend an ihn schmiegte. Ihre dunkelbraunen Locken fielen offen über die Schulter und das Sonnenlicht malte spinnenfeines Kupfer in ihre Haare hinein. Er war ein fast schmaler, blonder Mann, von ihm hatte Sabrina ihre sportliche Figur und die langen, überschlanken Beine. Immer wenn sie ihre Eltern so zusammen gesehen hatte, wollte sie mit hinein in diese Umarmung. Ein Teil dessen sein, was eine Familie miteinander verband.
    Vielleicht hatte er sich tatsächlich zu eingeengt gefühlt. Je älter Sabrina wurde, desto mehr versuchte sie zu verstehen, warum ihr Vater gegangen war. An Tagen wie diesen vermisste sie ihn plötzlich wieder so sehr, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    Ihre Mutter rührte die Schokolade um und pustete hinein. »Ich wollte nicht, dass du etwas davon mitbekommst. Es tut mir leid.«
    »Ist es was Ernstes?«
    »Ich weiß es nicht.« Ihre Mutter tunkte den Löffel in die Schokolade, hob ihn hoch und beobachtete, wie der dünne Strahl zurück in die Tasse floss.
    »Also entschuldige mal bitte«, sagte Sabrina. Sie wusste selbst, wie empört sich ihre Stimme anhörte, aber sie hatte keine Lust, sich zu verstellen. »Ich würde gerne wissen, ob ich Herrn Gerber in Zukunft öfter hier sehe. Dann kann ich mich darauf einrichten. Zum Beispiel im Bad.« Sie nahm einen Schluck und verbrannte sich natürlich die Zunge.
    »Es wird nicht mehr vorkommen. Okay? Ist es überhaupt schon einmal vorgekommen? Nein. Aber

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