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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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wo er mir geheimnisvolle Heilsalben überreichte und mich am laufenden Band Echinacin schlucken ließ, weil das seiner Meinung nach bei allem half, bei gebrochenem Radiusköpfchen sowieso. Was er selbst an Vitaminen, Enzymen, Proteinen, Melatoninen und weiteren »inen« nicht vorrätig hatte, kaufte er nebenan in der Apotheke. Und zwar in solchen Mengen, dass ich, hatte ich erst einmal alles eingenommen, leicht aufs Mittagessen verzichten konnte, während die Apothekerin wohlwollend ihre schönen Implantate zeigte, sah sie Franz nur von Weitem.
     
    Wenn ich nicht bei den Proben war, saß ich im Büro und arbeitete am Programmheft. Das Stück, inspiriert von Shakespeares ›Sommernachtstraum‹, war gespickt mit allen Ingredienzen, für die Woody Allen geliebt und gerühmt wird: die unter- bis oberschwelligen Neurosen seiner Figuren, Dialoge voll rhetorischer Finesse und aus demUnterbewussten aufbrechende animalische Begierden. Um es kurz zu sagen, es drehte sich um Sex und noch mal um Sex und um die Frage, warum aus zwei Menschen ein Paar wurde. Oder eben nicht, dachte ich mir und klickte mich unwillkürlich in den Hintergrund meines Bildschirms, wo ich »Traumpartner.de« aufgerufen hatte, um meinen Briefkasten regelmäßig kontrollieren zu können.
    Zu Richard, dem Eloquenten, hatte sich noch Fabian hinzugesellt, ein gebürtiger Schweizer, der seit Jahren in der Nähe von Garmisch lebte, dort Tennisschläger nach Maß anfertigte, abends Aikido unterrichtete und ein glühender Verehrer Haruki Murakamis war. Ich fand, Fabians Literaturgeschmack sprach schon einmal für ihn. Nebenbei klangen seine E-Mails intelligent, hatten Witz, sein Interesse an mir servierte er in bekömmlichen Dosen und sein Foto zeigte einen nicht unattraktiven Mann mit leicht asketischem Touch.
    Eine Woche zuvor war die erste Nachricht von ihm gekommen und seitdem flogen die E-Mails im zweitägigen Rhythmus zwischen uns hin und her.
    Es ist schon eine merkwürdige Sache, mit einem Fremden Briefe zu tauschen. Jemandem, den man nicht kennt, von sich zu erzählen. Aber gerade in der Unverbindlichkeit des Fremdseins, in dieser virtuell erzeugten Distanz lag meines Erachtens der Reiz und die Leichtigkeit des Ganzen. Kein Wort zu viel, kein Ton, der schief war, ja, eben die Möglichkeit, der eigenen Vorstellung von sich selbst endlich einmal zu entsprechen. Mit dem richtigen Gegenüber wurde ein reizvolles Ping-Pong daraus, das einen zur Höchstform auflaufen ließ. Es machte Spaß, weckte die Neugier, man flirtete, ohne ins trübe Fahrwasser einer Verpflichtung zu geraten, und gelangte zu der Vorstellung,am Horizont stiege eine aussichtsreiche Geschichte wie eine Schönwetterwolke auf.
    Und ich Glückspilz hatte sogar zwei davon in petto.
     
    Ich schickte meine Antwort an Fabian gerade ab, als Franz eintrat.
    »Alles schon brav geschluckt«, erklärte ich vorbeugend und deutete auf die Batterie von Arzneifläschchen und -döschen auf meinem Schreibtisch.
    »Wunderbar. Ganz wunderbar.« Er zog sich einen Stuhl heran und begann in einem Bäckerbeutel, der über seinem Arm hing, zu kramen. »Hier, auch sehr gut für die Gesundheit«, fügte er hinzu und platzierte eine Schachtel »Edle Tropfen in Nuss« in die Mitte meines Schreibtisches. »Greif zu.«
    »Mmmh. Und was kann ich für
dich
tun, Franz?«, fragte ich, während ich eine Praline mit Himbeergeistfüllung herauspickte.
    Seine Hand schwebte abwägend über der Schachtel, bis er sich für ein Stückchen aus Zartbitterschokolade entschied. »Williams Birne«, kommentierte er mit gerümpfter Nase, nachdem er hineingebissen hatte. »Kirschwasser ist mir lieber.«
    »Ich mag alle. Also?«
    »Ich brauche zwei Doubles für die Eröffnungsszene mit dem fliegenden Fahrrad. Sonst krieg ich’s nicht hin.« Es folgte eine wortreiche Erklärung, warum die Szene so und
nur so
sein dürfe. »Kannst du mit Friedmann darüber sprechen? Bei mir winkt er gleich ab.« Friedmann war der Leiter des Theaters, der zwar Franz’ Inszenierungen schätzte, nicht aber deren Kosten.
    »Na ja, kalkuliert ist es nicht«, sagte ich vage und notierte »zwei Doubles« auf einen Zettel. »Aber ich frage mal bei der ZBF an. Wenn’s nicht zu teuer kommt, schieb ich’s Friedmann schon irgendwie unter? Sonst noch was?«
    Franz biss in eine weitere Praline und sah diesmal zufrieden aus. »Ja. In der Szene von Adrians Liebestraum soll es rote flimmernde Herzen regnen. Zusammen mit Mendelssohns Musik wird das sensationell. Kannst

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