Spaß gemacht, aber auch Trauer hinterlassen. Wie das manchmal geschah, wenn ich die Gelegenheit hatte, in das Leben anderer Leute zu blicken, und mich danach desillusioniert vorfand, weil all das Heimelige und Schöne, das ich darin vermutet hatte, offensichtlich nur eine Wunschvorstellung meines nach Harmonie sehnsüchtigen Gehirns gewesen war.
Ich hatte mir zuvor keine Gedanken über Julia Lambert und ihr Leben gemacht. Aber sie war mir wie jemand erschienen, dessen Ausgeglichenheit und Festigkeit einem familiären Schutzwall entsprangen, jemand, der dort war, wo er sein wollte. Eben jemand, der jenes Leben lebte, das ich mir wünschte. Dabei schien es in Wirklichkeit wohl so zu sein, dass es mir in den letzten Jahren meines Alleinseins besser ergangen war als ihr.
Was für ein Desaster, dachte ich, während ich mir die Bettdecke unters Kinn zog und anschließend das Licht löschte. Menschen zerbrachen an anderen Menschen, und wenn sie niemanden hatten, zerbrachen sie ebenso. Irgendwann, an ihrer Einsamkeit. So oder so, auf irgendeine vertrackte Art hielt man den Schwarzen Peter immer in der Hand. An eine Lösung zu denken, schien mir geradezu lachhaft. Eigentlich hasste ich das Gefühl von Resignation. Aber vielleicht resigniere ich ja gar nicht, überlegte ich in das Dunkel des Zimmers hinein. Vielleicht sah ich einfach nur der Wahrheit ins Gesicht und hörte auf, eine Träumerin zu sein.
***
Datum: 11. Mai 2007 23.53 Uhr
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: Das Haar
Robbie, Robbie, Robbie!
Träumerin! Besser hätte ich es nicht treffen können.
Ein schottischer Malt käme jetzt nicht schlecht, ansonsten wünsche ich mir nichts mehr als den Stoizismus eines Kamels, das sich malmend in sein Schicksal fügt, um gottergeben weitere Wüsten zu durchwandern.
Entschuldige Robbie, ich verfranse mich. Ja, ich weiß, Du hast keine Ahnung, wovon ich überhaupt spreche.
Die Treffen mit Fabian und Richard.
Freitag und Samstag.
Gestern und heute.
Zwei Novitäten.
In Folge.
Also Fabian.
Nein, im Grunde gibt es nichts, was dem Ärmsten vorzuwerfen wäre. Aber es ist wie in Loriots Geschichte mit der Nudel. Und was des einen Nudel, ist des andern Haar.
In diesem Fall Fabians Haar. Es wuchs ihm drei Zentimeter lang und anderthalb Millimeter dick direkt aus der Nasenwurzel und stach mir sozusagen ins Auge, noch bevor wir uns die Hände zur Begrüßung gereicht hatten. Was soll ich sagen? Der Abend war auf der Stelle gelaufen, ichhätte augenblicklich gehen können, denn nichts, was Fabian hätte sagen oder tun können, hätte mich über dieses dicke, graue Haar hinwegsehen lassen. Wie ein erhobener Finger schien es wippend in meine Richtung zu deuten und wurde für mich zum Fixpunkt. Ich konnte nicht anders, als fortwährend darauf zu starren. Alle Sympathie, die ich in den E-Mails für ihn empfunden hatte, war wie weggeblasen, es war mir egal, ob er Murakami liebte, einen guten Wein ausgewählt hatte, Tennisschläger für die Prominenz entwarf oder meine Augen unbeschreiblich fand. Für Dich mag es lächerlich oder zickig klingen, aber für mich existierte er nur noch in Form dieses Haars.
Gott, natürlich will ich nicht klingen wie die Prinzessin aus König Drosselbart und auch nicht, als hätte ich eben den Stein der Weisen entdeckt, wenn ich sage: Äußerlichkeiten sind wichtig. Unter uns: Wer behauptet, allein auf die inneren Werte käme es an, der lügt doch.
Dem glücklosen Fabian einen Vorwurf zu machen, liegt mir fern. Er trägt ein Haar auf der Nase, und das ist sein gutes Recht. Meine Sache, wenn mir davor graust. Was mich deprimiert, ist die Tatsache, dass mein Bild von ihm, das innerhalb dieses E-Mail -Wechsels entstanden war, der Wirklichkeit nicht eine Minute standgehalten hat.
Nein, Robbie, es war kein gutes Gefühl, als ich gestern Nacht nach Hause kam und mich endlich zu meinem Buch ins Bett legte.
Ich war sogar so frustriert, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, das Treffen mit Richard heute Abend sausen zu lassen.
»Kommt nicht in Frage«, erklärte Julia Lambert, die mich heute Morgen angerufen hatte, rigoros. »Sie gehen da hin und damit basta.«
Sicherlich war das gut gemeint, aber manchmal ist das eigene Gefühl doch der bessere Ratgeber.
Nachdem ich mich durch den Tag geschleppt und mich hundertmal mit »Ich geh da nicht hin« beschworen hatte, siegte zwei Stunden vor dem Treffen meine Höflichkeit. In der Hoffnung, er würde von selbst