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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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so auf den Punkt: Mein Mann, Verzeihung Exmann, ist sechzehn Jahre älter als ich. Das war, als wir heirateten, überhaupt kein Problem. Jetzt ist es eins. Während er unter einem Baum sitzen und sein Glas Rotwein trinken möchte, will ich noch auf der Wiese tollen. Verstehen Sie? Die Berührungspunkte wurden immer weniger, bis ich mir irgendwann wie bereits gestorben vorkam. Ich bin zu jung für Beschaulichkeit. Ich will mir noch kein Jäckchen um die Schultern hängen und behaglich zurückblicken. Ich habe noch eine Zukunft. Ich brauche Perspektiven.« Der letzte Satz klang fast wütend. »Verstehen Sie das?«
    »Ja«, antwortete ich unsicher, denn ich fragte mich, warum nicht beides möglich sein sollte: Ehe
und
Perspektiven. Vielleicht malten sich meine Gedanken auf meinem Gesicht ab, denn sie fuhr fort:
    »Sicherlich hätte man das in den Griff kriegen können.Eine Art Kompromiss schließen oder etwas in der Art, aber es kam etwas anderes hinzu, und
das
ließ sich nicht mehr in den Griff kriegen.« Sie unterbrach sich und rief dem Kellner »Einen doppelten Malt, bitte« zu. Ich hatte es doch gewusst. Dann sprach sie weiter: »Ich will nicht, dass Sie etwas falsch verstehen. Mein Mann ist ein netter Kerl, bestimmt. Witzig, charmant, gut aussehend. Ein Sonnenschein. Wir hatten ein gutes Leben, sind Eltern einer hübschen und klugen Tochter, lebten in einem schönen Haus und eher hätte ich es ertragen, er hätte mich betrogen. Was ich aber nicht ertragen konnte, war seine Angst vor jeglichem Konflikt, diese verdammt bequeme Haltung, die er kultivierte, wo er konnte. Er ging allem aus dem Weg, was nicht unter sein Bäumchen und zu seinem Rotwein passte.« Der Kellner brachte den Whiskey und sie nahm einen tiefen Schluck. Ihre Wut verschwand allmählich und wich einem Anflug von Bitterkeit. »Vor einem Jahr wurde ich schwer krank. Während unseres Urlaubs in Italien. Eine virale Meningitis. Ich wand mich in Schmerzen. Und tat schließlich einige seltsame Dinge. Sie wissen vielleicht, Meningitis kann zu Verwirrtheit und Halluzinationen führen, und   …«
    »Und?«
    »Und mein Mann tat nichts. Er ließ mich einfach liegen. Rief nicht einmal einen Arzt, obwohl ich immer wieder darum bat.«
    »Haben Sie den Urlaub denn nicht abgebrochen?«
    »Nein. Auf die Idee kam er gar nicht. Er lag draußen am Pool in der Sonne, während ich mich im abgedunkelten Zimmer quälte. Es war unsäglich. Als wir endlich wieder in München waren, schickte er mich allein zu den Ärzten, er kam nicht einmal mit, und als ich von zu Hause weggingund in ein Hotel zog, suchte er nicht einmal nach mir. Er blieb gemütlich in seinem Lehnstuhl sitzen, sah fern, sagte sich wahrscheinlich, seine Frau spinne momentan, und ließ die Dinge einfach geschehen. Mein Arzt ließ mich schließlich in eine Klinik einweisen und eine Freundin brachte mich hin. Ich war wirklich sehr krank.«
    Ich blickte sie sprachlos an. Einen Kloß im Hals, einen Schauer am Rücken. »Warum?«, brachte ich schließlich hervor. »Warum hat er das getan? Ich verstehe das nicht.«
    »Weil er es nicht ertragen hat, seine starke Frau schwach zu sehen. Er hatte eine Heidenangst und den Kopf einfach in den Sand gesteckt. Nur nicht hingucken, dann geht’s vielleicht von selber weg. Auf meine Kosten. Er ist ein kleiner Junge geblieben, der eine Mama braucht. Kann ich ihm nicht geben.« Mit einer vehementen Bewegung stellte sie das Glas zurück auf den Tisch. »Es war schmerzhaft, das zu begreifen. Ich habe mir die Scheidung nicht leicht gemacht, wirklich nicht. Viele Tränen, verstehen Sie?«
    Ich nickte. Das verstand ich.
    »Aber«, plötzlich lachte sie, »jetzt bin ich wieder gesund. Gesund und geschieden. Jetzt kann es weitergehen. Und wie ist das bei Ihnen? Sie sahen traurig aus im Krankenhaus.«
    Wir bestellten noch einmal Whiskey. Diesmal für uns beide, zündeten weitere Zigaretten und Zigarillos an, und ich erzählte ihr meine Geschichte. Die von Hannes. Und am Schluss noch die von meinen Internet-Kandidaten.
    »Ja, davon habe ich auch schon gehört«, sagte Julia darauf. »Vielleicht sollte ich es auch einmal damit versuchen. Haben Sie einen der beiden schon getroffen?«
    »Nein«, antwortete ich und schluckte nervös. »Morgen treffe ich den einen. Fabian. Und übermorgen Richard.«
    »Spannend.« Sie lächelte.
    »Ja. Ziemlich. Trinken wir noch einen Whiskey?«
     
    Es war sehr spät, als ich endlich nach Hause kam. Whiskeybeduselt und zigarettenheiser. Der Abend hatte

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