Lilienzucht (German Edition)
überlegt ihr Gegenüber, dann geht er zurück zu den abgedeckten Möbeln und holt zwei der Tücher von den Schränken und schüttelt sie sorgfältig aus, bis der geknebelte Mann am Boden hustend und röchelnd nach Luft ringt. Lord Croydon ignoriert die Geräusche zu seinen Füßen, als seien sie nichts weiter als vor sich hinschnatternde Enten, doch wer genauer hinsieht, kann eine gewisse Schadenfreude erkennen, die einen Mundwinkel für einen Augenblick nach oben zucken lässt.
Sorgfältig legt er Josie die Tücher um die Schultern. „Es ist ein bisschen staubig“, stellt er lächelnd fest, „aber für den Moment dürfte es ausreichen.“
„Danke.“, flüstert Josie und errötet leicht.
Sie machen sich auf den Weg nach draußen, allerdings auf Lord Croydons Vorschlag nicht auf demselben Weg, den Josie vor Stunden mit dem Baron gegangen ist, sondern durch ein Treppenhaus, das am anderen Ende des Gebäudeteils liegt und das zu einem der Parkplätze auf dem Anwesen führt. Während sie also die Dachetage durchqueren, holt der Earl sein Handy aus der Hosentasche und verschickt eine kurze SMS. Josie fragt nicht weiter nach und konzentriert sich stattdessen darauf, trotz der schmerzenden Füße stetig einen davon vor den anderen zu setzen, damit sie diesen Ort so schnell wie möglich hinter sich lassen kann. Als sie schließlich die steinerne Treppe erreicht haben, hält sie ächzend inne und pustet angestrengt die Luft aus den Lungen.
„Geht es noch?“, erkundigt sich die besorgte Stimme neben ihr.
„Oh, ich...“, stammelt Josie verlegen und lächelt entschuldigend. „Es ... ist schon in Ordnung, nur... langsam bringen mich meine Schuhe um.“ Zart errötend deutet sie auf ihr Pumps.
Lord Croydon lacht leise. „Stimmt“, meint er verständnisvoll, „Sie müssen ja schon seit Stunden auf diesen hohen Dingern stehen. Kein Wunder, wenn Ihnen die Füße wehtun.“ Nachdenklich sieht er die Steintreppe hinab. „Hm, Ausziehen dürfte keine Option sein“, stellt er schließlich fest, „immerhin erwartet uns unten feiner Kies. Also...“ Schwungvoll nimmt er die junge Frau auf seine Arme, lächelt ihr entschuldigend zu und trägt sie dann – mit einem gewissen Schalk in den Augenwinkeln – die Treppe hinunter.
Josie wird den Eindruck nicht los, dass er auf so eine Gelegenheit nur gewartet hat.
Als sie das Gebäude verlassen, wartet auf dem Hof bereits ein riesiger, schwarzer Rolls Royce mit laufendem Motor, dessen hintere Tür von einem Chauffeur in schwarzer Livree aufgehalten wird.
Lord Croydon beeilt sich, die Dame auf seinen Armen durch den strömenden Regen, der immer noch hin und wieder von gewaltigen Blitzen und Donnergrollen begleitet wird, ins trockene Auto zu transportieren.
Josie atmet hörbar auf, als sie die wärmende Luft im Wagen spürt.
„Sie haben sicher Durst.“, sagt der Earl und holt auch gleich eine Flasche mit Wasser aus der Bordbar, um ihr ein großes Glas einzugießen, das er ihr dann mit einem zuvorkommenden Lächeln reicht.
Josie bedankt sich und stürzt die kühle Flüssigkeit begieriger hinunter, als es sich eigentlich gehört. Mit leicht geröteten Wangen gibt sie dann das Glas zurück, was der Earl allerdings nur mit einem freundlichen Lächeln quittiert und sich gleich an den Fahrer wendet.
„Nach Hause bitte, Jeffrey. Auf dem schnellsten Weg.“
„Sehr wohl, Mylord.“, entgegnet dieser. „Darf ich fragen...“
„Später.“, wird er liebenswürdig von Lord Croydon unterbrochen. „Ich muss erst ein paar Telefonate erledigen.“
Jeffrey setzt ohne weiteren Kommentar die Stretchlimousine in Bewegung.
Einen Moment lang schaut der Earl indessen Josie in die schokoladenbraunen Augen und diese fragt sich unwillkürlich, ob er ihr wohl ganz bis auf den Grund ihrer Seele blicken will, dann nimmt er ihr die Tücher von den Schultern und drückt sie mit sanfter Gewalt und einem leichten Stirnrunzeln in eine liegende Position.
„Versuchen Sie, ein wenig auszuruhen. Wir bringen Sie erstmal in Sicherheit.“, sagt er leise und deckt sie sorgfältig zu.
„Ich versuch’s.“, gibt Josie ebenso leise zurück und merkt plötzlich, wie bleischwer ihre Glieder mit einem Mal sind, seit sie der unmittelbaren Gefahr entronnen ist. Seufzend kuschelt sie sich in die immer noch leicht staubigen Decken und genießt für einen Moment einfach die Wärme, die sie allmählich durchströmt. Langsam werden ihre Gedanken diffuser, bis sie alles nur noch wie durch einen angenehm
Weitere Kostenlose Bücher