Lilienzucht (German Edition)
bevor sie schließlich, dick mit Salbe eingeschmiert unter einem weißen Verband verschwinden.
„Ich frage mich, ob ich Ihnen die Fußgelenke nicht auch besser verbinden sollte.“, überlegt er.
Josie winkt ein wenig müde ab. „Ich denke nicht, dass das nötig ist, sie sind ja bei Weitem nicht so wund.“
„Nun gut.“, meint der Earl und sieht sich kurz um „Mary?“, fragt er dann.
Beinahe wie aus dem Nichts taucht das Hausmädchen wieder auf. „Ja, Mylord, bin schon da.“ Von irgendwoher hat sie warme Socken und Filzpantoffeln gezaubert, die sie Josie nun ohne weitere Aufforderung anzieht, nachdem sie ihr die Pumps von den Füßen gezogen hat.
Mit einem tiefen, entzückten Seufzen schließt Josie für ein paar Augenblicke die Lider und genießt lächelnd das warme, flauschige Gefühl an ihren Füßen, bevor sie sich von der Liege erhebt, wieder in den Bademantel schlüpft und der einladenden Geste folgt, die der Earl in Richtung des kleinen, runden Tisches macht, auf dem das Teetablett steht. Zwei lederne Clubsessel stehen davor, auf denen sie nun Platz nehmen. Irgendwie wirkt diese Sitzgruppe hier etwas fehl am Platz, doch Josie hat sich für diesen Tag schon mehr als genug gewundert und langsam geht ihr die Energie dafür aus.
„Tee?“, fragt der Earl lächelnd.
„Gern.“, antwortet Josie prompt.
„Brauchen Sie mich noch, Mylord?“, fragt das Hausmädchen, während der Earl seinem Gast bereits eine Tasse Tee einschenkt.
„Später, Mary.“, antwortet er. „Für den Moment haben wir alles, was wir benötigen. Ich melde mich später noch einmal bei Ihnen.“
„Sehr wohl, Mylord.“, meint Mary knicksend. „Mylady.“ Noch ein Mal knickst sie vor Josie, die nur abwesend nickt, während sie an ihrem Tee nippt, dann entfernt sie sich leise aus dem Zimmer.
Lord Croydon indessen gießt sich selbst eine Tasse ein, trinkt jedoch vorerst nicht davon. Stattdessen betrachtet er Josie eine Weile mit ebenso wohlwollender wie unverhohlener Neugier.
„Ist es sehr indiskret, wenn ich Sie frage, wie Sie zu diesem wunderschönen Rückentattoo kommen?“, sagt er schließlich und lächelt entschuldigend.
„Schockiert es Sie?“, fragt Josie schmunzelnd nach.
„Warum sollte es? Nein. Es ist ein exzellentes, sehr sauber gestochenes Kunstwerk.“
„Nun, meinen Bruder hat es schockiert, als ich es ihm gebeichtet hab.“ Josie kichert leise bei der Erinnerung. „Ich habe es mir in Deutschland machen lassen, als ich dort für ein paar Monate bei einer Schulfreundin aus dem Internat gewohnt habe.“, erläutert sie. „Wissen Sie, ich habe fast meine halbe Schulzeit in Deutschland verbracht.“
„Ja, stimmt, Ihr Bruder hat es erwähnt. – Haben die Lilien eine besondere Bedeutung?“, will ihr Gegenüber wissen.
„Na ja, eigentlich nicht, außer dass einer meiner Vornamen Liliana lautet.“, erklärt Josie. „Und wenn Sie mich jetzt fragen, was meine Motivation dafür war, kann ich das gar nicht mehr so genau sagen. Sicher war ein guter Teil davon Rebellion und das Bedürfnis, mich ein wenig von meiner Herkunft abzugrenzen.“
„Eine Art ‚Jugendsünde’?“
„Mein Bruder würde es sicher so bezeichnen, auch wenn er es längst nicht mehr eine Verunstaltung nennen würde. Aber ich habe es nie bereut; ich freue mich heute noch jeden Tag, wenn ich es im Spiegel sehe. Allerdings ärgere ich mich manchmal ein bisschen, dass es auf dem Rücken ist, da habe ich nämlich viel weniger davon als meine Mitmenschen, auch wenn ich zugeben muss, dass es außer meiner Familie in letzter Zeit ohnehin nicht viele Leute gesehen haben.“ Leise lachend nimmt sie einen kräftigen Schluck Tee und stellt erleichtert fest, dass der Earl ähnlich zu denken scheint. Noch einmal nimmt sie von dem Tee, dann fällt ihr ein, dass der einzig wirklich Fremde, der ihre Tätowierung in letzter Zeit gesehen hat, der schmierige, sadistische Baron war... Ihre Gedanken wandern unwillkürlich zu den schrecklichen Ereignissen der vergangenen Stunden – und plötzlich ist sie innerhalb von Sekundenbruchteilen leichenblass und setzt die Tasse scheppernd auf der Untertasse ab, die sie in der anderen Hand hält. Außer dem leisen Klappern, das ihre zitternden Hände verursachen, ist nichts mehr zu hören.
„Alles in Ordnung?“, fragt Lord Croydon überflüssigerweise.
„Ich...“, stammelt Josie aufgeregt. „Was ist mit den Elliots?! Wir müssen...!“ Hastig erhebt sie sich vom Sessel, Tasse und Teller noch immer klappernd
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