Lilly Höschen (01): Walpurgismord
Frau Gutbrodt hatte ihre Angestellten wohl zu Mittag geschickt. Aber dann hörte ich Geräusche, die immer lauter wurden.«
»Was für Geräusche?« wollte der Staatsanwalt wissen.
»Wenn Sie mich nicht ständig unterbrechen, werden Sie es gleich erfahren. Es handelte sich um Liebesgesäusel, vorsichtig ausgedrückt. Na sowas, dachte ich, amüsiert sich Frau Gutbrodt vielleicht mit einem Mann und hat vergessen, die Tür abzuschließen? Jedenfalls erkannte ich die Stimme meiner Masseurin. Und auch die Stimme des Mannes kam mir bekannt vor. Ich konnte sie aber in dem Moment nicht recht unterbringen. Jedenfalls nahmen die Geräusche an Heftigkeit zu und ich überlegte, ob ich die Praxis nicht lieber verlassen sollte. Aber dann spürte ich wieder meine Schulterschmerzen.«
»Und wem gehörte diese Stimme denn nun?« wollte der Richter wissen.
»Dem Angeklagten, Herrn Maximilian Schmecke.«
Der Richter sah den Staatsanwalt an. Dieser allerdings starrte nur zu Lilly Höschen, während sie weiter berichtete:
»Irgendwann wurde mir die Sache dann aber zu heftig. Ich dachte schon bei mir: Meine Güte, dass Frau Gutbrodt auch diese Art von Massagen macht...«
Jetzt sprang der Staatsanwalt auf und brüllte: »Was hat der Kerl mit meiner Frau gemacht?«
Lilly, völlig entgeistert, dass sich der Staatsanwalt als der Ehemann von Frau Gutbrodt entpuppte, verlor für eine Sekunde die Übersicht, fing sich aber sofort wieder und sagte ganz langsam, um diesen Moment voll auszukosten:
»Er hat ihr die Fotze geleckt.«
Jetzt rastete der Staatsanwalt aus, während der Richter seine alte Lehrerin mit offenem Mund anstarrte, der Angeklagte sein Gesicht in den Händen vergrub und Amadeus diesen mit weit aufgerissenen Augen ansah, ihn gegen die Schulter knuffte und flüsterte:
»Du Blödmann, warum hast du das nicht gesagt?«
Staatsanwalt Gutbrodt brüllte auf Lilly ein:
»Was denken Sie eigentlich, wie Sie hier reden können? Das ist ja unglaublich!«
»Unglaublich ist das Verhalten Ihrer Frau«, konterte Lilly, »und Ihr Verhalten als Staatsanwalt lässt auch zu wünschen übrig. Machen Sie gefälligst Ihre Hausaufgaben und hören Sie auf, ehrbare Zeugen anzuschreien! Setzen!«
Gutbrodt setzte sich ruckartig hin und der Richter hob beschwichtigend die Arme, während die Zuschauer teils amüsiert lachten oder sich entsetzt anschauten.
»Jetzt wollen wir uns alle erstmal wieder beruhigen», sagte der Richter. »Herr Staatsanwalt, ich werde zu entscheiden haben, ob ich Sie wegen Befangenheit aus dieser Verhandlung ausschließe. Ich möchte, dass Fräulein Höschen ihre Aussage in Ruhe zu Ende bringt, und dann sehe ich weiter. Also bitte, Fräulein Höschen, fahren Sie fort. Allerdings frage ich mich, wie Sie darauf kommen, dass der Angeklagte die Dame, äh, Sie wissen schon, was er angeblich mit ihr gemacht haben soll. Sie haben doch niemanden gesehen.«
»Das ist ganz einfach«, fuhr Lilly fort, »Frau Gutbrodt hat ihn laut und deutlich aufgefordert, es zu tun. Und den Geräuschen nach zu urteilen, hat er es dann auch getan. Und zwar heftig. Soll ich die Geräusche, die Frau Gutbrodt währenddessen von sich gegeben hat, etwa nachmachen?«
»Um Gottes Willen, nein, Fräulein Hös-chen, äh, Höschen.«
Jetzt war es passiert: Er hatte Hös-chen gesagt. Das würde Konsequenzen haben, so wie damals vor mehr als zwanzig Jahren in der Schule. Lillys Gesicht nahm jetzt diesen erbarmungslosen Zug an, der ihm als Schüler eine Gänsehaut über den Rücken hatte laufen lassen:
»Ulrich Geist, du bist ein ganz liderlicher Bengel!«
»Ich bitte um Entschuldigung, Fräulein Höschen. Bitte fahren Sie mit Ihrer Aussage fort, beziehungsweise kommen Sie zum Ende.«
»Nun, ich verließ dann die Massagepraxis. Meine Schulterschmerzen hatte ich vergessen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte der Buick des Angeklagten. Da fiel mir ein, wen ich in der Praxis gehört hatte: Maximilian Schmecke. Außerdem gibt es weit und breit kein anderes Angeberauto dieser Art. Der Angeklagte kann also nicht in Zellerfeld einen Diebstahl begangen und sich zur selben Zeit mit besagter Masseurin in Clausthal verlustiert haben. Das war‘s. Und Dir, Maximilian Schmecke, möchte ich noch mit auf den Weg geben, dass man Türen auch abschließen kann. Außerdem ist es dumm, ein Verbrechen auf sich zu nehmen, nur um jemanden vor der Bloßstellung zu schützen. Vielleicht hättest du mal an Deine Mutter denken sollen. Es ist alles andere als angenehm
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