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Lily und der Major

Lily und der Major

Titel: Lily und der Major Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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einzuschlafen.
    Lily schloß die Augen und dachte
wieder daran, wie ihre Mutter sich an jenem Abend mit dem Soldaten in der
schmutzigen blauen Uniform unterhalten
hatte. Damit hatte alles angefangen ...
    »Aber es sind meine Kinder«, hatte
Mama mit schleppender Stimme gesagt, der anzuhören war, daß sie wieder zuviel
Brandy getrunken hatte. »Was soll ich denn mit ihnen machen?«
    »Schick sie in den Westen,
Kathleen«, hatte der Soldat erwidert und einladend den Vorhang
zurückgeschlagen, der Mamas Bett vom Rest der kleinen Wohnung trennte.
    »Nach Westen?« hatte Mama verblüfft
wiederholt, während sie dem Mann hinter den Vorhang gefolgt war. Sie tat stets,
was die Männer von ihr verlangten, aber selbst das schützte sie nicht immer vor
ihren Schlägen. An diesem Abend hatte Lily zum ersten Mal etwas von den Waisenkinderzügen
gehört. Während der Soldat Mama beschrieb, wie ihre Töchter im Westen ein
wunderschönes neues Zuhause finden würden, sanken seine und ihre Kleider zu
Boden. Als sich die Schatten ihrer nackten Körper hinter dem dünnen Vorhang
abzeichneten, war Lily hinausgegangen, um sich auf die Treppe zu setzen und
nachzudenken ...
    Lily zwang sich in die Gegenwart
zurück und schmiegte sich noch fester an Emma, die unglücklich in die
Finsternis starrte. Und da sagte Lily zum ersten Mal die Worte, die bisher keine
von ihnen auszusprechen gewagt hatte. »Mama hat uns wegen des Soldaten
fortgeschickt.«
    Emma nickte, und wieder kamen ihr
die Tränen. »Er hätte sie sonst nicht geheiratet«, erwiderte sie bedrückt.
    »Ich hasse Soldaten!« sagte Lily mit
all der Inbrunst einer Sechsjährigen.
    Emma legte einen Arm um ihre
Schwester und zog sie an sich. »Es ist sinnlos, jemanden zu hassen. Außerdem
werden wir eines Tages wieder alle zusammensein, so wie Caroline es uns
versprochen hat.«
    Lily seufzte. »Ich muß mal.«
    »Warum hast du das nicht erledigt,
als der Zug gehalten hat?« entgegnete Emma gereizt. »Jetzt kannst du nur auf
diesen schrecklichen Eimer gehen.«
    »Ich muß mal«, beharrte Lily.
    Emma stand seufzend auf und führte
ihre Schwester zum Ende des Waggons, wo sie wartete, bis Lily den Eimer benutzt
hatte, der sich hinter der letzten schmutzigen Bankreihe verbarg. Einige der
Jungen reckten die Hälse und versuchten, etwas zu sehen, aber Emma warf ihnen
einen strafenden Blick zu und hielt ihre Röcke wie einen Schild vor Lily.
    Die Mädchen saßen längst wieder auf
ihren Plätzen, als Lily plötzlich der Gedanke kam, daß Emma zu den Kindern gehören
könnte, die beim nächsten Halt den Zug verließen. Angenommen, Emma fände eine
neue Familie, und sie, Lily, nicht? Falls das geschah, konnte sie nicht mehr
auf die Toilette gehen, wenn sie mußte, denn niemand würde sie dann vor diesen
frechen Jungen schützen und mit ihren Röcken einen Vorhang für sie bilden,
wenn sie sich auf den Eimer hockte.
    Lily hatte Angst, sich in die Hose
zu machen und von den anderen ausgelacht und > Baby < geschimpft zu werden.
    Aber bald waren es ganz andere
Sorgen, die Lily bedrängten. Vielleicht mochten die Leute, die sie aufnahmen,
sie nicht, oder sie wären häßlich und böse zu ihr. Oder, was noch schlimmer
wäre, niemand würde Lily nehmen, und dann müßte sie immer weiterfahren in
diesem kalten, schmutzigen Zug, für immer und ewig, ein Leben lang. Doch
endlich schlief auch Lily ein, und dann träumte sie etwas Wunderschönes. Sie
träumte, ihre Mama hätte es sich anders überlegt und wollte ihre Töchter
zurückhaben. Sie nannte sie ihre lieben Schätzchen und versprach, daß sie alle
zusammen in einem wunderschönen Haus am Meer leben würden, wie Lily es in den
Bilderbüchern ihrer Großmutter gesehen hatte.
    Das ruckartige Halten des Zuges riß
Lily brutal aus dem Schlaf. Es war früh am Morgen, und wieder mußten sie und
Emma sich mit den anderen Kindern auf dem Bahnsteig versammeln, um sich wie
eine Ware von fremden Menschen anstarren zu lassen.
    Eine kleine, hagere Frau wollte Emma
adoptieren, die schweigend und wie versteinert auf dem Bahnsteig stand,
während Lily sich an ihre Röcke klammerte.
    »Nehmen Sie auch meine Schwester!«
flehte Emma. »Bitte, Madam – zwingen Sie mich nicht, Lily im Stich zu lassen.«
    Die Frau schnaubte nur verächtlich.
»Ich kann froh sein, wenn ich ein Mädchen bekomme, damit es mir im
Haushalt hilft«, sagte sie. »Wenn ich zwei nach Hause brächte, würde Mr. Carver
mir ein blaues Auge schlagen.«
    In diesem Augenblick griff der
Zugführer

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