Im Licht des Blutmondes
M ARTINA
Martina blickte abschätzend auf das kleine, fünfjährige Mädchen, das vor ihr stand, und schürzte ihre Lippen. In den letzten fünf Jahren hatte ihre Tochter ihr Leben ganz schön auf den Kopf gestellt.
„Los geh deinen Mantel und deine weißen Lackschuhe holen“, herrschte sie das blonde Kind an und gab ihm einen Schubs. Nicht kräftig genug, dass Joleen hingefallen wäre, aber dennoch so stark, dass die Kleine einige Ausfallschritte machen musste, ehe sie losrennen konnte.
„Mach ich Mama“, rief sie noch mit ihrer piepsigen Stimme, als sie das Wohnzimmer verließ. Martina legte ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ab und bemerkte, dass sie zitterten. Ob sie vielleicht noch etwas nehmen sollte, ehe sie abgeholt wurden?
Wie um sich selbst zu antworten, schüttelte Martina ihren Kopf. Nein, es war nicht ratsam benebelt zu sein, wenn man ein Abkommen mit Vampiren traf. Sie lächelte zynisch. Das Abkommen selbst stand nun schon seit einigen Wochen. Sie wusste, dass man aufpassen musste, wenn man sich mit den Wesen der Nacht einließ, da sie gerne die Worte des abgeschlossenen Vertrages zu ihren Gunsten formulierten.
Das war ein guter Grund, vorerst nichts zu sich zu nehmen. Sie griff nach der Zigarettenpackung, die vor ihr auf dem Tisch lag, nahm eines der weißen Stäbchen heraus, steckte es sich in den Mund und zündete es an.
Schon nach dem ersten Zug bemerkte sie, wie das Zittern und ihre Anspannung ein wenig nachließen. Sie stand auf und ging zur Bar, die in einer Ecke des unaufgeräumten und altmodisch eingerichteten Wohnzimmers stand. Die meisten Möbel hier hatte sie von Freunden oder wohlwollenden Freiern erhalten, einige auch selbst eingesammelt, wenn mal wieder der Sperrmüll abgeholt wurde. Kein Stück passte zum anderen.
Während sie sich ein Glas billigen Whiskey einschenkte, dachte sie an bessere Zeiten zurück.
Vor fünf Jahren standen ihr noch alle Möglichkeiten offen. Sie war jung, hübsch und hatte viele Verehrer. Meistens hatte sie mehrere Liebhaber zur gleichen Zeit, die ihr ein sehr exklusives Leben ermöglichten. Und dann …, ja dann war sie schwanger geworden.
„Undankbares Miststück“, murmelte sie und kippte das gesamte Glas Whiskey hinunter, nur um sich gleich darauf noch einmal nachzuschenken.
Als sie schwanger geworden war, wollte natürlich keiner ihrer zahlreichen Liebhaber akzeptieren, dass das Kind von ihm sein sollte. Schon damals hatte sie gelegentlich Drogen genommen, also nutzte sie die Gelegenheit und verlangte gleich von sechs Männern Geld für eine Abtreibung. Geld konnte nie schaden.
Schnell hatte sie eine billige Hinterhofklinik ausfindig gemacht, in der ihr das kleine Missgeschick entfernt werden sollte. Als sie jedoch auf dem Tisch lag, war ihr klar geworden, dass sie es nicht konnte. Es war nicht so, dass sie den Fötus damals geliebt hätte. Nein. Die Ursache dafür, dass sie dieses Kind, diesen Störfaktor, nicht hatte beseitigen lassen können, war ihre Mutter gewesen.
„Dämliche Kuh!“, fluchte Martina erneut und schüttelte ihren Kopf. Ihre Mutter war streng gläubig, las täglich in der Bibel und lebte streng nach ihren Regeln. Auch Martina war gezwungen gewesen, sich den Regeln der katholischen Kirche zu unterwerfen.
Mit sechszehn war sie von zu Hause weggelaufen und dachte nur sehr selten an ihr Elternhaus zurück. Doch in dieser Sekunde, diesem kleinen, entscheidenden Augenblick stürzte die Erziehung ihrer Mutter mit ganzer Wucht auf sie ein, und unverrichteter Dinge verließ sie die Abtreibungsklinik wieder.
Sie leerte erneut das Glas und nahm die Flasche in ihre freie Hand, um sich nochmals einzuschenken.
„Mama ich habe alles!“, ertönte die nervig quiekende Stimme hinter ihr. Martina zuckte zusammen. Schnell stellte sie Glas und Flasche ab, drehte sich um und holte aus, um ihrer Tochter mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen.
„Du dämliche Göre“, fauchte sie. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich nicht so an mich anschleichen sollst?“
Joleen stand vor ihr, hielt sich mit tränenden Augen ihre Wange, die bereits begann, sich rot zu verfärben. Mist, sie hätte besser nachdenken sollen. Die Vampire würden sicherlich einen Weg finden, ihr durch diese kleine rötliche Verfärbung ein Bein zu stellen.
„Tut mir leid Mama“, jammerte Joleen und sah sie mit großen Augen an.
„Los, geh und leg dir Eis auf dein Gesicht!“, forderte sie und drehte sich dann von ihrer Tochter weg.
„Ja
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