Lily und der Major
und meinte, dann
sollte sie es lieber lernen.
Im Laufe der Zeit wurde Lily immer
rundlicher und ihr Bauch immer größer. Sie ging jetzt nicht mehr allein aus,
und immer, wenn sie in der Kutsche zu Kathleens Haus fuhr, wurde sie von
Loretta, einem Dienstmädchen begleitet. Aber sie traf nie jemanden dort an, das
Haus schien immer leer und verlassen.
Schließlich kam der Dezember mit
kaltem Wind und hohem Schnee. Lily und Caleb waren im Garten und trugen eine
Schneeballschlacht aus, als die ersten Wehen kamen.
Lily schrie auf, und Caleb war
sofort an ihrer Seite.
Dr. Branscomb erschien eine halbe
Stunde später. Es wurde eine lange, schwierige Geburt, wie er schon
vorausgesagt hatte, aber kurz vor Mitternacht erblickte Joss Rupert Halliday
das Licht der Welt, brüllend vor Zorn und mit dem stolzen Gewicht von neun
Pfund.
»Ich werde doch noch mehr Kinder
bekommen können?« fragte Lily den Arzt besorgt. Trotz aller erlittenen
Schmerzen wünschte sie sich noch mehr Kinder von Caleb. Noch viele, viele mehr.
»Ich sehe keinen Grund, warum es
nicht möglich sein sollte«, erwiderte Dr. Branscomb lächelnd. Dann wusch er
seine Hände, stellte die Geburtsurkunde aus und ging.
Caleb hatte seinen Sohn hinausgebracht
zum Baden, und als er mit dem schreienden Säugling zurückkehrte, glühte sein
Gesicht vor Stolz. »Er ist ganz schön wütend, was?« Lily lächelte trotz ihrer
Erschöpfung. »Das wärst du auch, wenn du gerade eine Geburt hinter dir
hättest.«
Caleb küßte ihre Stirn und legte ihr
das Baby in die Arme. »Ich liebe dich, Mrs. Halliday«, sagte er, »aber ich
glaube, wir sollten nach Joss lieber keine Kinder mehr haben.«
Lily schüttelte resolut den Kopf. »O
nein, mein Lieber, ich will noch viele andere Kinder haben, und das werde ich
auch. Darauf kannst du dich verlassen.«
Der kleine Joss schrie noch immer,
und Lily hob ihn auf und legte ihn an ihre Brust. Obwohl noch keine Milch aus
ihren Brustspitzen floß, schien der Kleine zufrieden zu sein, daß er an ihnen
nuckeln konnte. Lily lächelte. Wie der Vater, so der Sohn.
Sobald Lily sich ausreichend erholt hatte, um aufstehen zu können,
nahm sie ihre Besuche am Haus ihrer Mutter wieder auf. Jeden Tag klopfte sie an
die Tür und befragte die Nachbarn, und nie erreichte sie irgend etwas damit. In
wenigen Wochen schon würden sie auf die Farm zurückkehren und dort ihr altes
Leben wiederaufnehmen. Lily sehnte sich nach ihrem Zuhause, aber sie wußte
auch, daß ihre letzten Hoffnungen zerstört sein würden, wenn sie Chicago verließ,
ohne etwas über ihre Schwestern erfahren zu haben.
Am dritten März 1879 verwandelte sich ihr Pech in Glück. Als sie die Hand
nach dem vertrauten Bronzeklopfer ausstreckte, ertönten Pianoklänge aus einem
offenen Fenster, das Lily vorher nicht aufgefallen war. Es war die Melodie
eines Lieds, das sie und ihre Schwester früher zusammen gesungen hatten.
Mit klopfendem Herzen ließ Lily den
Türklopfer sinken und drückte die schwere Klinke nieder. Einen Augenblick
später stand sie in der Eingangshalle, und die Musik hieß sie willkommen und
hüllte sie ein wie eine zärtliche Umarmung.
Eine helle, reine Stimme sang:
Three flowers bloomed in the meadow,
Heads bent in sweet repose,
The daisy, the lily, and the rose ...
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