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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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aus dem Wagen und ging durch den Schnee zum Grab hinüber und betrachtete es, als glaubte ich, Willie Lincoln sei immer noch hier, als glaubte ich, er könnte mir, aufgestört in seinem Schlaf, sagen, wo Annie war und was mit ihr geschehen war.
    Aber er war nicht da. Er war in Springfield, an der Seite seines Vaters. Ich hatte geglaubt, sein Grab zu finden würde bedeuten, herauszufinden, was mit ihm geschehen war, aber das wußte ich bereits, oder etwa nicht? Es war das gleiche, was mit ihnen allen geschehen war – mit Ben und Tom Tita und Little Hen. Sie waren alle im Krieg gestorben. Willies Pony war bei lebendigem Leib verbrannt, und Annie Lee war an einem Fieber gestorben, aber sie waren Opfer des Bürgerkriegs, und sie waren alle zusammen bei Fredericksburg begraben, zusammen mit Stonewall Jacksons Arm, unter einer numerierten Granitplatte, die nicht größer war als ein Fetzen Papier. Ich wußte, was mit jedem einzelnen passiert war, ausgenommen Annie. Und Traveller. Also ging ich durch den Schnee zurück und fuhr nach Hause und holte den Freeman hervor.
    Ich wußte, daß Traveller Lee überlebt hatte, weil ich mich daran erinnerte, daß er in Lees Trauerzug mitgeführt wurde, doch anschließend wurde er in Freemans letztem Kapitel nicht mehr erwähnt, und bei Davis oder selbst in Robert E. Lee Juniors Erinnerungen an seinen Vater stand überhaupt nichts über ihn.
    Ich ging in den Wintergarten hinunter und fand dort Sanborns Robert E. Lee, ging wieder ins Arbeitszimmer hinauf und durchstöberte die Bücherstapel, die Broun auf seinem Schreibtisch und dem Ledersessel aufgetürmt hatte, um zu sehen, ob Traveller irgendwo erwähnt wurde. Pierson erwähnte sozusagen im Vorbeigehen, daß Traveller auf der Farm eines Freundes untergebracht wurde, weil Mrs. Lee zu krank war, um ihn zu versorgen. In Loveseys Pferd und Reiter stand, er habe »noch zwei Jahre gelebt und treu auf seinen Herrn gewartet, der nie wiederkommen sollte«. Hinsdale schrieb, man habe ihn weiter in dem Stall stehenlassen, den Lee für ihn gebaut hatte, bis er in einen Nagel trat, Wundstarrkrampf bekam und erschossen werden mußte.
    Ich betrachtete die Worte eine Weile und ging dann noch einmal zu dem letzten Freeman-Kapitel zurück, obwohl ich bereits alles wußte, was man wissen konnte: Traveller hatte das Unglück gehabt, den Menschen, den er liebte, zu überleben, er hatte fast zwei Jahre lang gewartet, und wo er während dieser zwei Jahre gewesen war, bedeutete nicht mehr als zu wissen, wo Willie Lincoln die letzten drei Kriegsjahre zugebracht hatte. Und dann war er gestorben. Freeman konnte mir nicht mehr sagen als dies, doch ich nahm ihn mir trotzdem noch einmal vor und notierte mir aus dem Index die er Seitenzahlen hinter ›Traveller‹, als wären sie Ziffern der Gefallenenliste auf dem Grab irgendeines Soldaten. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Freeman, der Lee genug verehrt hatte, um vier Bände über ihn zu schreiben, Traveller vergessen haben sollte. Das hatte er auch nicht.
    Es stand im Anhang des ersten Bandes. Er schrieb, daß Traveller an Wundstarrkrampf gestorben und in Washington auf dem Gelände der Lee-Universität begraben worden sei. Seine Gebeine waren von der Patriotischen Frauenvereinigung später exhumiert und in das Kellergeschoß der Kapelle der Lee-Gedenkstätte gebracht worden. In die Nähe von Lees Grab.
    Im März fuhr ich Broun zu seinem Arzt, und er bekam eine einwandfreie Gesundheit attestiert.
    »Er meinte, ich könnte tun, was ich wollte, Treppen steigen, ein Buch schreiben«, sagte er auf dem Rückweg. »Ich will ein Buch über Robert E. Lee schreiben.« Er wartete auf meine Reaktion.
    »Und Traveller«, sagte ich.
    »Natürlich auch über Traveller.«
     
    Wir begannen mit der Arbeit an dem neuen Buch. Broun schickte mich nach Arlington, damit ich mir Notizen über die Veranda und den Salon und den Speicher machte, auf dem Tom Tita eingesperrt worden war. Am Nachmittag sollte ein Militärbegräbnis stattfinden, und alle Zufahrten waren gesperrt. Ich mußte den Wagen auf dem Besucherparkplatz abstellen und den Hügel zu Fuß hinaufgehen. Es war ein warmer Tag, der erste seit mehr als zwei Monaten, und der Schnee, der im Februar gefallen war, begann gerade zu schmelzen. Das Wasser rann in Bächen neben den geschwungenen Wegen hinab.
    Auch die Custis Promenade war gesperrt. Ich mußte über das Gras zur Villa Arlington gehen. Ich kam bis zum Grab. Die Arbeiter hatten den Schnee so weit niedergetrampelt,

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