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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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große Schlafschwierigkeiten gehabt, daß Richard sie gleich von Anfang an auf Elavil gesetzt hatte. Er hatte kein EKG gemacht. Er hatte mir in dieser Telefonnachricht mitgeteilt, daß das EKG gerade aus dem Labor gekommen sei, aber ein EKG brauchte nicht ins Labor. Brouns Arzt las seines ab, sobald es aus dem Apparat herauskam. Er hatte gesagt, Annies Krankenblatt erwähne ein funktionelles Herzgeräusch, aber wie konnte es das, wenn es zwei bis vier Wochen dauerte, den Bericht zu bekommen? Annie hatte mir gesagt, er hätte ihr von Anfang an Elavil gegeben. Richard hatte kein EKG gemacht, und er hatte nicht auf den Bericht ihres Hausarztes gewartet. Das Elavil hatte die Träume verschlimmert, aber Richard hatte es damals noch nicht abgesetzt. Er hatte es erst abgesetzt, nachdem der Bericht eingetroffen war, als er sah, daß sie einen geringfügigen Herzfehler hatte und daß er ihr Elavil nicht hätte geben dürfen.
    Er geriet in Panik und rief mich an, allerdings war ich nicht da. Ich war in West Virginia. Und wenn ich dagewesen wäre? Hätte er mir die Wahrheit gesagt? War er so außer sich vor Besorgnis gewesen, weil er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte, weil er, als er die Träume hörte und sah, was sie Annie antaten, an nichts anderes hatte denken können als daran, wie er sie unterbinden könnte, und daß er, verflucht noch mal, nicht auf den Bericht des Hausarztes warten konnte, wenn es vielleicht einen Monat dauerte, bis er ihn bekam? Oder hätte er selbst da seine Onkel-Doktor-Stimme bei mir eingesetzt?
    Warum hatte er sie auf Thorazin gesetzt? Um die Träume zu stoppen? Thorazin könnte einen Zug aufhalten, und es war nicht kontraindiziert. (Anmerkung: Plötzlicher Tod, besonders nach Herzstillstand, wurde beobachtet, doch es gibt keine ausreichenden Hinweise, daß ein Zusammenhang zwischen solchen Todesfällen und der Verabreichung dieses Medikaments besteht.) Oder gab er es ihr, um sie davon abzuhalten, wieder ins Institut zu gehen und Dr. Stone zu erzählen, daß er ihr ein Medikament gegeben hatte, das bei Herzpatienten ausdrücklich kontraindiziert war? Warum setzte Longstreet bei Pickett’s Charge nicht seine Truppen ein?
    Lee ließ nach dem Krieg mit keinem Wort verlauten, daß er Longstreets Verhalten bei Gettysburg für etwas Schwerwiegenderes hielt als ›den Fehler eines guten Soldaten‹. Doch nach der Schlacht, als Colonel Venable voll Bitterkeit sagte: »Ich habe gehört, wie Sie General Longstreet angewiesen haben, Hoods Division einzusetzen«, da hatte Lee ihm die Schuld gegeben. Und ich gab Richard die Schuld. Ich versuche, als Arzt meine Pflicht zu tun. Mir liegt nur dein Bestes am Herzen.
    Ich holte das Rezept aus meiner Tasche und sah es an. Brouns Arzt hatte ein Rezept über Elavil ausgestellt.
    Im Juli ließ Broun seinen Arzt endlich die Bypass-Operation ausführen, gegen die er sich gesträubt hatte. Er überstand sie gut und überglücklich, denn während er unter Narkose stand, hatte niemand seinen Bart abrasiert, aber er zeigte keinerlei Interesse daran, am Lincolnbuch weiterzuarbeiten.
    Er schickte mich nach Springfield, darüber klagend, daß er mit dem Buch nicht weiterkäme, ehe er nicht wüßte, wo Willie Lincoln begraben worden war. Ich verbrachte dort fast einen Monat mit dem Versuch, es herauszufinden, und dann kam ich zurück und begann das Gräberregister der Friedhöfe von Washington durchzusehen. Ich hatte das Rezept für Elavil in Springfield eingelöst. Es brachte die Träume vollkommen zum Erliegen und unterdrückte den REM-Schlaf so, wie ich es erwartet hatte.
    Broun hatte die Arbeit an dem Buch noch nicht wieder aufgenommen, obwohl der Ort von Willie Lincolns Grab ein Detail war, das er leicht einfügen konnte, sobald er bekannt war. Er ließ mich eine Menge Recherchen machen, die anzusehen er sich niemals die Mühe machte, und im Herbst bekam er wieder Schmerzen in der Brust.
    Im Oktober bestand er darauf, daß ich ihn zum Lincoln Memorial fuhr. »Ich glaube nicht, daß das eine gute Idee ist«, sagte ich. »Es gibt da eine Treppe. Sie wissen doch, daß Sie sich mit Treppen vorsehen sollen.«
    Er stieg die Stufen hoch, ohne sich von mir helfen zu lassen, und betrat die Gedenkstätte, um sich die Lincolnstatue anzusehen. »Weißt du, auf welche Theorie noch keiner gekommen ist, trotz der ganzen Herumfahrerei in Kalifornien?« sagte er und betrachte den in seinem Marmorsessel sitzenden Lincoln mit seinen zu großen Ohren und der breiten Nase und den zu

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