Linda Lael Miller
das zahmste Pferd, das ihr habt. Ich
reite zu Veras Haus und vergewissere mich, daß sie okay ist.«
»Okay?«
wiederholte Trista das unbekannte Wort.
»Das heißt
,in Ordnung«, erklärte Elisabeth, raffte ihre Röcke
und eilte zum Stall. Gemeinsam legten sie der widerstrebenden Estella, Tristas
alter Stute, das Zaumzeug an. Elisabeth ließ sich den Weg erklären und ritt
dann Richtung Schulhaus.
Über ihr
wälzten sich schwarze Wolken dahin, stießen zusammen, und Donner rollte von
den Flanken ferner Berge. Elisabeth dachte an den zersplitterten Apfelbaum
und erschauerte.
Als sie die
Straße erreichte, winkte sie dem Mann zu, der in einer früheren Version des
Hauses wohnte, das sich in der Gegenwart die Buzbee-Schwestern teilten. Ohne
sich um das drohende Gewitter zu kümmern, nagelte er ein neues Brett an seinen
Zaun.
Gleich
hinter der Kurve nach dem Schulhaus fand Elisabeth Vera, die schluchzend und
mit staubbedecktem Gesicht neben der Straße saß. Ihr Pony galoppierte zu einem
Schuppen auf einem nahen Hügel.
»Bist du
verletzt?« fragte Elisabeth.
Vera
schluckte und stand auf. »Ich habe mir den Ellbogen aufgeschlagen«, antwortete
sie schniefend.
Elisabeth
ritt näher heran. »Das sieht ziemlich schlimm aus. Möchtest du nach Hause
reiten?«
Vera
deutete auf das massig wirkende Farmhaus fünfhundert Meter neben dem Stall. »Ich
wohne in der Nähe.«
»Dann reite
ich neben dir her«, sagte Elisabeth freundlich, als wieder ein Blitz den Himmel
erhellte und ihr ängstliches Pferd den Kopf hin und her warf und wieherte.
Veras
Mutter kam aus dem Haus und winkte lächelnd. Offenbar störte es sie nicht, ihre
Tochter zu Fuß nach Hause kommen zu sehen anstatt auf dem Rücken ihres kleinen
Ponys. »Schön, daß es Ihnen bessergeht, Elisabeth!« rief sie über das Grollen
fernen Donners. »Kommen Sie auf Kaffee und ein Stück Kuchen herein, wenn Sie
Zeit haben.«
»Ich muß zu
Trista zurück«, antwortete Elisabeth bedauernd. »Das Gewitter kann jeden
Moment losbrechen.«
Sie trieb
ihr Pferd an, so weit sie es wagte, hätte sich jedoch nicht beeilen müssen, da
es noch immer nicht regnete, als sie das Haus betrat und Tristas Klimpern auf
dem Klavier hörte.
Der Rest
des Nachmittags und der Abend vergingen ohne eine Nachricht von Jonathan. Der
Himmel blieb schwarz, aber kein Tropfen fiel auf den durstigen Boden.
Nach dem
Abendessen und einigen Partien Schach, die Trista alle gewann, machte Elisabeth
sich ernsthafte Sorgen.
»Manchmal
ist Papa lange weg«, meinte Trista gelassen, »wenn ein Baby unterwegs oder
jemand wirklich krank ist.«
»Was ist,
wenn du allein hier gewesen wärst?«
Trista
zuckte mit den Schultern. »Dann hätte Ellen mich wohl mit zu sich genommen.«
Sie strahlte. »Ich gehe gern in ihr Haus, weil es dort so laut ist.«
»Du magst
Lärm, ja?« neckte Elisabeth sie, und dann stürmte sie mit erhobenen Händen und
klauenartig gekrümmten Fingern auf Trista los.
Die
quietschte vor Begeisterung und rannte durch das Speisezimmer und den Wohnraum
und die vordere Treppe hinauf, wahrscheinlich weil es der längere Weg war und
die Verfolgung dadurch möglichst ausgedehnt wurde.
In ihrem
Zimmer fiel Trista kichernd aufs Bett. Elisabeth kitzelte sie ein wenig, küßte
sie dann auf die Wangen, hörte ihre Gebete und deckte sie zu.
Später
setzte sie sich im Wohnzimmer an das Klavier und begann, sanfte und
beschwichtigende Melodien zu spielen, die Rue als Cocktailparty-Musik
beschrieben hätte. Die ganze Zeit lauschte sie mit einem Ohr auf das Geräusch
von Jonathans Schritten.
Kapitel 14
Die Berührung von Jonathans Lippen auf ihrer
Stirn ließ Elisabeth aus einem unruhigen Schlaf hochschrekken. Ihre Arme und
Beine schmerzten bei dem Versuch, sich schützend um Trista zu legen.
Für einen
Moment wurde sie von heftiger Angst gepackt, doch sie und Trista waren in
Sicherheit, und Jonathan war zurück.
Sie wollte
aufstehen, aber er legte den Zeigefinger an seine Lippen. »Wir sprechen morgen
früh.« Seine leise Stimme war heiser vor Erschöpfung. »Du willst doch noch
meine Frau werden?«
Sie
streckte sich, lächelte und nickte.
»Gut.« Er
bückte sich und küßte sie noch einmal auf die Stirn. »Morgen nacht wirst du
dort schlafen, wo du hingehörst – in meinem Bett.«
Ein
wohliger Schauer durchlief Elisabeth. Sie nickte wieder und schlief ein,
diesmal ohne Anspannung, ohne Angst.
Jonathan konnte sich nicht erinnern, jemals
so müde gewesen zu sein. In den letzten vierundzwanzig
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