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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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Mutter sie früher dafür zur Ordnung gerufen hatte.
    „Möchten Sie noch einen Nachschlag?" Frau Wagner begrüßte wohlwollend, wie Paula die Suppe mit gesundem Appetit verschlungen hatte.
    „Danke nein, ich bin satt. Das war hervorragend."
    Frau Wagner nahm ihr den Teller ab. „Schön, das freut mich." Sie sah sich im Zimmer um. „Haben Sie irgendetwas zu lesen? Soll ich Ihnen vielleicht eine Zeitschrift bringen?"
    „Meine Bücher sind in irgendeinem Karton, leider habe ich nicht alle ordentlich beschriftet, ich muss sie suchen. Das war alles etwas zu überstürzt." Paulas Blick verlor sich im Raum, sie hing ihren Gedanken nach.
    Frau Wagner bemerkte den angespannten Ausdruck in ihrem Gesicht und spürte intuitiv, dass sie etwas belastete. Es schien ihr aber ratsam, in der derzeitigen Verfassung von Paula nicht nachzufragen. „Sie kommen aus München", nahm sie das Gespräch an einer anderen Stelle wieder auf.
    Paula erwachte aus ihrer Erstarrung. „Ja und nein. Ich habe dort sechs Jahre gelebt. Geboren bin ich in Braunschweig, ich komme sozusagen zurück in meine Heimatstadt." Paula sah Frau Wagner an und hoffte, dass sie keine Fragen über die Zeit in München stellen würde. Ihre Gedanken wurden momentan nur von schlechten Erinnerungen an die Zeit beherrscht. Die guten, und die gab es bestimmt, versteckten sich hinter einem dunklen Schatten.
    „Ich bin nicht in Braunschweig geboren, lebe aber seit bald fünfzig Jahren hier. Und zwar genau in diesem Haus." Frau Wagner bemerkte, wie Paula sich etwas entspannte, als sie das unverfängliche Thema anschlug.
    „In diesem Haus? Wow, das ist lange. Und wo sind Sie geboren?"
    „Ich bin in Lucklum geboren, das ist in der Nähe vom Elm."
    „Oh, Lucklum kenne ich. Ein Onkel von mir lebt da."
    „Heißt er auch Rittner mit Nachnamen?", fragte Frau Wagner interessiert nach.
    „Ja.“
    Frau Wagner überlegte einen Augenblick und legte den Zeigefinger an die Lippen. „Der Name sagt mir nichts."
    „Mein Onkel ist erst vor fünfzehn, zwanzig Jahren dorthin gezogen. Unwahrscheinlich, dass Sie ihn kennen."
    „Dann ist ja gut." Frau Wagner wirkte erleichtert. „Ich dachte schon, mein Gedächtnis lässt mich im Stich."
    „Sind Sie in Lucklum aufgewachsen? Ich finde es ist ein sehr hübsches Dorf und das Rittergut fand ich immer toll. Ich habe dort mit meiner Cousine gespielt. Und die Allee mit den großen Bäumen fand ich klasse."
    „Alle meine Kindheitserinnerungen haben etwas mit dem Rittergut, der Allee und dem Bauernhof meiner Eltern zu tun. Ich hatte dort eine schöne Kindheit, obwohl sich heutzutage niemand mehr vorstellen kann, wie es früher war."
    „Das stimmt wohl. Aber wissen Sie was? Ich habe gerade etwas Zeit, vielleicht mögen Sie mir davon erzählen?", schlug Paula vor. Sie sah Frau Wagner erwartungsvoll an.
    Diese lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und ihre Augen strahlten. Paula stockte der Atmen, denn sie sah nicht die alte Dame vor sich, sondern das Lächeln und die Aufgeregtheit eines jungen Mädchens.
    „Geboren wurde ich 1925", begann Frau Wagner.
    Paula blickte sie erstaunt an. „Sie sind schon fünfundachtzig Jahre alt?"
    Frau Wagners Augen glitzerten erfreut. „Ja, meine Liebe. Ich wandle schon einige Zeit auf Gottes Erden."
    „Wahnsinn, Sie sehen überhaupt nicht so alt aus. Was Sie schon alles gesehen haben müssen. Und wie sich das Leben im Laufe der Zeit geändert hat."
    „Das stimmt, aber einige Sachen verstehe ich heute nicht mehr so ganz. Mit Computern konnte ich mich nicht mehr anfreunden, ein Handy hatte ich noch nie und werde auch nie eins besitzen."
    „Ach, glauben Sie mir Frau Wagner, da gibt es Schlimmeres. Immer und überall erreichbar zu sein, ist nicht immer von Vorteil."
    „Das glaube ich Ihnen gerne. Meine Mutter rief früher nach uns Kindern, wenn wir nach Hause kommen sollten. Aber manchmal haben wir es nicht gehört und konnten uns damit rausreden, keine Uhr gehabt zu haben. Armbanduhren besaßen wir nicht. Manchmal vergaßen wir einfach auf die große Turmuhr der Dorfkirche zu sehen.“ Frau Wagner lächelte Paula schelmisch an.
    „Hört sich traumhaft an."
    „Das sind die Erinnerungen, an die man gerne denkt. Aber im Grunde war es nicht einfach, wir Kinder mussten hart arbeiten und den Eltern auf dem Hof helfen. Jeder hatte seine Aufgabe, die er erfüllen musste."
    „Ich habe als Kind gemurrt, wenn ich mal den Tisch decken musste oder beim Abwasch meiner

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