Lindenallee
Und was verboten ist, wird umso reizvoller.
Es war an einem Sonntag, der Gottesdienst war zu Ende, der Frühling kündigte sich mit den ersten Blüten an. Heinz und ich spielten in der Allee, denn an einem Sonntagnachmittag hatten wir von allen Pflichten frei. Wir spielten wieder unser Lieblingsspiel. Wir zogen gerade am hintersten Ende der Allee mit unserem Gefolge auf das Rittergut zu, als sich Friedrich uns in den Weg stellte.
„Was spielt ihr?", fragte er direkt heraus. Er hatte dabei die Hände in die Hüften gestemmt, der Wind fuhr in seine Haare und ließ sie flattern wie Fahnen im Wind.
Mein Bruder musterte Friedrich von oben bis unten, die Jungen maßen sich gegenseitig. Von der Statur waren beide groß und kräftig gebaut. Bei einem Ringkampf wären sie ebenbürtig gewesen, aber darauf waren sie nicht aus, denn sie erkannten ineinander, dass sie gute Freunde werden könnten.
Und ich? Ich beobachtete die Jungen schweigend. Ich befand mich zu der Zeit im Umbruch, zwischen Mädchen und des Heranreifens zu einer Frau. Ach herrjemine, das war eine verwirrende Zeit. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich immer Kind geblieben und hätte mit meinem Bruder wilde Abenteuer erlebt. Aber die Erwachsenen um mich herum zwängten mich langsam aber sicher in ein Korsett, das durch Benimmregeln für eine junge Dame eng geschnürt wurde. Manchmal, wenn sie nicht merkten, dass ich sie hörte, redeten sie solche Sachen, wie „sie entwickelt sich langsam zu einer hübschen, jungen Frau" und „über ihre Zukunft Gedanken machen". Heiraten fiel auch, aber ich war doch gerade mal zwölf Jahre alt. Ich verstand wirklich nicht, worüber sich vor allem meine Eltern Gedanken machten. Sie wollten bestimmt nur das Beste für mich, aber ist es nicht so, dass die nächste Generation eigene Vorstellungen von ihrem Leben hat? Und die decken sich meist nicht mit denen der Eltern. Das nennt man dann wohl Generationskonflikt.
Aber zurück zu Friedrich und Heinz, die sich gegenüber standen. Mein Bruder fasste einen Entschluss.
„Wie spielen Ritter. Willst du mitspielen?", lud er Friedrich ein.
„Klar. Und was macht die da?" Er zeigte dabei mit dem Finger auf mich. Darüber habe ich mich sehr geärgert. Was sollte das denn heißen?
„Das ist meine Schwester. Sie spielt mit", reagierte Heinz gelassen. Dafür hätte ich ihm um den Hals fallen können.
„Mädchen spielen Ritter?" Er richtete den Blick auf mich. „Spielst du nicht mit Puppen?" Er sah mich dabei provozierend an.
Nun war es an mir, die Hände in die Hüften zu stemmen. „Nee, mit Puppen spielen ist was für Kleinkinder."
Friedrich blickte mich spöttisch grinsend an. „Du bist doch noch ein Kind, oder?"
Das war zu viel, was bildete der sich ein! Er kannte mich doch gar nicht und steckte mich zu der Art Mädchen, mit der ich noch nie etwas anfangen konnte. Ich war wütend. Wenn ich wütend bin, mache ich die seltsamsten Dinge. So griff ich ihn mit lautem Geschrei an.
Damit hatte Friedrich nicht gerechnet, ich überrumpelte ihn förmlich. Ich stürmte also auf ihn zu und konnte ihn ohne Mühe zu Boden werfen. Die Überraschung glückte!
Ich war über ihm und drückte seine Arme zu Boden. Sein überraschter Gesichtsausdruck wandelte sich von ärgerlich, auf überlegend und dann grinsend. Seine grünen Augen funkelten mich an.
„Das, mit dem Kind, nehme ich zurück." Er lachte, das Lachen steckte unglaublich an und meine Wut verrauchte binnen Sekunden. Ich lachte mit ihm.
„Aber für ein Mädchen bist du ein ganz schön schwerer Brocken. Ich bekomme keine Luft mehr." Er japste gekünstelt und verdrehte die Augen.
Ich boxte ihm freundschaftlich gegen die Brust. „He, das ist aber nicht nett von dir. Aber ich verzeihe dir." Großmütig erhob ich mich und klopfte den Staub von meinen Kleidern. Er rappelte sich vom Boden auf, machte sich nicht die Mühe die Erde abzuschütteln, stattdessen streckte er die Hand zu mir aus.
„Freunde?"
Ich ergriff sie, er drückte fest zu und schüttelte sie. „Freunde."
Heinz schlug Friedrich kameradschaftlich auf die Schulter. „Leg dich lieber nicht mit meiner Schwester an. Alles was sie kann, um sich zu wehren, hat sie von mir gelernt." Heinz zwinkerte Friedrich zu.
Ich war unglaublich stolz, als Heinz das sagte. Zufrieden verschränkte ich die Arme vorm Körper.
Da standen wir drei zusammen, heranwachsende Jugendliche, die eine neue Freundschaft schlossen, für die die wunderbare Zeit des Frühlings kam. Der
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