Lindenallee
Rittergut für die Kinder vom Verwalter gibt, ja?" Er wartete unsere Antwort nicht ab, sondern fuhr fort. „Sie hat heute erzählt, dass der Verwalter einen neuen Pferdeknecht sucht. Er hat meine Mutter gefragt, wen sie aus dem Dorf empfehlen könne, der zuverlässig sei und sich auskennt. Meine Mutter hat mich gefragt, ich habe mich angeboten, aber sie will das nicht. Ich soll meine Nase nicht in Pferdemist, sondern in Bücher stecken."
Heinz und ich mussten Lachen.
„Du hast es nicht leicht", bedauerte ich ihn nicht wirklich ernsthaft.
„Endlich mal jemand, der mich versteht. Manchmal glaube ich, dass ich viel verpasse, nur weil meine Mutter mich in einem goldenen Käfig hält. Ich darf noch nicht mal mit euch in die Schule, ich bekomme Einzelunterricht von ihr. Und sie ist richtig streng." Friedrich schien es ernst zu meinen, denn sein Gesichtsausdruck sprach Bände.
„Ach was Friedrich, nach zwei Tagen auf dem Hof wärst du froh, wenn du wieder deinen goldenen Käfig hättest", beschwichtigte ihn Heinz, konnte sich das Grinsen dennoch nicht verkneifen.
„Du machst dich lustig über mich", ärgerte er sich. Er schubste Heinz mit der Schulter, der sofort Feuer und Flamme für eine Rangelei war. Ich beobachtete sie dabei, wie sie laut lachten und miteinander rauften.
Ich genoss solche Abende wie diese. Ich sog die warme, nach Sommer duftende Luft ein, beobachtete den wunderschönen Sonnenuntergang und hörte, wie die Vögel die Nacht mit ihren Liedern herbeisangen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte jeder Abend so enden können.
Ich ahnte nicht im Geringsten, dass sich der Himmel langsam mit Wolken zuzog, die mein Leben verdunkeln sollten. Am Anfang tauchten nur ein paar kleine Schleierwolken auf, deren Anwesenheit lange unbemerkt blieb. Sie sollten sich aber zusammenrotten und zu einem brausenden Gewitter werden, das sich wie ein Unwetter über mir entladen sollte.
„Ach herrje, das ist aber schon spät geworden." Magarete sah auf ihre schmale goldene Armbanduhr.
Paula blickte sie mit großen Augen an. „Was?" Langsam kehrte sie aus der Vergangenheit zurück. „Ach, das ist aber schade. Jetzt wo es spannend wird." Sie zog einen Schmollmund wie ein kleines Kind, dem gesagt wurde, die Geschichte sei hier zu Ende.
Magarete stand beschwerlich auf und streckte sich. „Für heute muss es genug sein. Du bist immerhin krank und brauchst deine Ruhe, ich bin alt und brauche ebenso meine Ruhe. Ich kann morgen wieder bei dir vorbeischauen und dann erzähle ich weiter. Einverstanden?"
„Oh ja", rief Paula und klatschte begeistert in die Hände.
Magarete schmunzelte. „Nun gut, dann schaue ich morgen Nachmittag bei dir vorbei, ja?"
„Gerne." Paula wollte aufstehen und sie hinausbegleiten.
„Bleib ruhig liegen, ich finde hinaus. Gute Besserung und eine gute Nacht wünsche ich dir."
„Danke. Bis morgen dann."
Paula hörte, wie Magarete den Flur hinunterging und die Wohnungstür nach sich schloss. Schlagartig war es still in ihrer Wohnung und ihr wurde bewusst, dass sie ganz allein war. Niemand war da und das war so ungewohnt für sie. Sie seufzte. Daran muss ich mich jetzt gewöhnen, dachte sie. „Das wäre doch gelacht, wenn ich mein Leben nicht alleine meistere.“ Sie sprach es laut aus, aber ein kleines Teufelchen in ihrem Kopf hinterfragte es. Bist du dir sicher, dass du das schaffst? Ich glaube nicht, das ist doch alles zu viel.
Verärgert von dem kleinen Teufelchen sprang sie aus dem Bett. Sie ging in die Küche, sah sich um und fand eine Tüte Kekse. Kekse mit Schokolade. Ihre Mutter wusste, womit sie zu ködern war. Ein paar Kilos mehr auf den Rippen könnten nicht schaden, in den letzten Wochen hatte sie deutlich abgenommen. Aus dem Wohnzimmer holte sie ihr Telefon und zog sich zurück ins Bett. Die Rufnummer war bereits abgespeichert. Während die Nummer gewählt wurde, steckte sie sich einen Keks in den Mund.
„Rittner", meldete sich ihre Mutter.
„Hallo Mama", kam es undeutlich aus dem Keks gefüllten Mund hervor.
„Paula? Oder ist es das Krümelmonster?"
„Beides."
„Wie geht es dir, mein Liebes?", erkundigte sich Luise. Im Hintergrund war Stimmengemurmel zu hören. Da fiel Paula ein, dass ihre Eltern Doppelkopf-Abend hatten.
„Oh Mama, ich störe doch, oder?"
„Nein, die Anderen gucken gerade Urlaubsfotos von Mallorca. Bettina und Stefan sind da über Silvester gewesen. Zum Doppelkopfspielen sind wir noch nicht gekommen. Ich würde ja lieber spielen, als olle
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