Lindenallee
nicht schaffe, werde ich uns im Weg stehen.“
Steffen nahm ihre Worte nicht mehr richtig auf. Er hörte nur heraus: ich will nicht, ich will nicht mit dir zusammen sein. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. Sie schubste ihn weg, es war aus und vorbei. Er konnte nicht mehr klar denken und rannte hinaus.
Paula blieb ungerührt an der Tür stehen. Sie wusste, sie tat ihm unrecht, aber kein kleiner Motor in ihr sprang an und zwang sie, ihm hinterherzulaufen. Sie schloss die Tür. Endlich Ruhe, war das Einzige, was sie dachte und fühlte.
Der nächste Tag kam. Paula blieb zu Hause. Die Wohnung war verdunkelt, keine Luft wurde hineingelassen. Es klingelte mehrfach an ihrer Tür, sie meinte die Stimme von Akay zu hören, die sich besorgt nach ihr erkundigte. Günthers Stimme drang kräftiger durch die Tür, seine Worte blieben bei ihr ungehört.
Das Telefon hatte sie nach mehrmaligen, nervenden Klingeln aus der Dose gezogen, das Handy gar nicht erst angeschaltet. Sie erschuf sich einen künstlichen Kokon, der sie vor Eindringlingen schützte und ihren Schmerz gefangen hielt. Sie lag zusammengerollt wie ein Kleinkind im Bett und dachte an die Stunden mit Magarete, wie sie erzählten und lachten. Sie vermisste Magarete, ihre Wärme, ihren feinen Humor und das Gespür für ihre Stimmungen.
Paula verlor das Gefühl für Raum und Zeit, sie lag da und ließ den Tag verstreichen. Überrascht fuhr sie hoch, als gegen Abend Geräusche an der Tür waren und diese aufgeschlossen wurde. Augenblicklich fühlte sie sich in ihrer kleinen Welt gestört. Ihr Abwehrmechanismus fuhr hoch. Egal, wer dort wagte sie zu stören, er würde ihre Ablehnung zu spüren bekommen.
„Paula?“ Steffens Stimme klang seltsam hohl.
„Bestimmt im Schlafzimmer“, flüsterte Walter so laut, dass selbst Paula es verstand. Normalerweise hätte sie darüber gelacht. Wenn ihr Vater schon mal versucht leise zu sein, dann ging das meist gründlich schief. Es war aber nicht normalerweise, es war alles anders und viel schlimmer.
Die Beiden schlichen sich leise zu ihrem Schlafzimmer und warfen einen Blick hinein. Was sie sahen, schien sie sehr zu erschrecken, denn erstaunt hoben beide die Augenbrauen.
Paula war es egal. Sie zog die Bettdecke bis zum Kinn, dabei hätte sie eher ihre Haare bedecken sollen, die wild und ungepflegt in allen Richtungen abstanden. Paula blickte suchend hinter die beiden Männer, aber sie entdeckte ihre Mutter nicht. Ein erster Funke von schlechtem Gewissen regte sich in ihr. Sie hatte ihre Mutter schwer mit ihrer Abweisung getroffen.
„Wir wollten nach dir sehen, mein Liebes“, wagte Walter einen Vorstoß. Von Luise und Steffen hatte er vernommen, wie sich Paula aufführte und niemanden an sich heranließ. Er schwankte zwischen Ärger und Nachsicht. Er vermutete, es würde wenig nützen, sie unter Druck zu setzten, dann knickte sie noch mehr ein und der Schutzwall würde so hoch sein, dass niemand hinüberkam.
„Ich bin hier. Mir geht es gut. Ich brauche nichts“, trotzte sie den liebenswürdigen Worten ihres Vaters.
„Paula, wir wollen dir nur helfen...“
„Ich brauche keine Hilfe.“ Ihre Gesichtsmuskeln spannten sich an.
Steffen kam hinter Walter hervor. „Paula, wir wollen nur dein bestes. Gib uns eine Chance.“ Seiner Stimme war eine Spur von Verzweiflung beigemengt, die er zu verbergen versuchte.
Paula antwortete nicht, sie schüttelte nur den Kopf. Walter nahm Steffen am Arm. „Luise hat Recht, es hat im Moment keinen Sinn. Komm, wir gehen.“
Ja, geht endlich, dachte Paula. Stumm beobachtete sie, wie sie kehrtmachten. Walter legte Steffen den Arm um die Schultern. „Komm mit zu uns, bei uns wirst du heute verwöhnt. Und keine Widerrede.“
Die Tür fiel ins Schloss und es war sofort still. Paula atmete erleichtert aus. Das war ja einfach gewesen. Zu einfach vielleicht? Vielleicht standen sie im Flur und warteten.
Langsam wühlte sie sich aus dem Bett und kontrollierte den Flur. Niemand da.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass in ihrem Flur etwas lag, das dort nicht hingehörte. Sie ließ den Blick schweifen und blieb an einem weißen Umschlag hängen, der auf ihrer Flurkommode lag. Der Umschlag wölbte sich an einer Stelle dick auf. Neugierig nahm sie den Umschlag in die Hand. Als ob sie in Feuer gefasst hätte, ließ sie ihn sogleich wieder fallen. Der Brief fiel schnell zu Boden und schlug mit einem raschelnden Geräusch auf. Das blütenweiße Papier verbarg etwas vor ihren Augen, ihr
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