Lindenallee
geholfen, Paula nach oben zu bringen. Ich hätte das nicht alleine geschafft. Ich glaube, der Tod von Magarete hat sie schwer getroffen. Schwerer, als sie es je zugeben würde. Also, wenn es möglich wäre …?“
Steffen drückte Günthers Hand auf seinem Arm. „Ich schaue gleich bei ihr vorbei.“
Erleichtert nickte Günther und ließ den Arm von Steffen los. Steffen eilte augenblicklich nach unten.
Walter räusperte sich leise im Hintergrund. „Lassen Sie uns ins Wohnzimmer gehen. Meine Frau ist bei Paula und sonst können wir vermutlich nichts weiter tun, als warten.“
Luise hörte, wie die beiden Männer sich ins Wohnzimmer setzten und leise miteinander sprachen. Sie hatte den Platz von Steffen an Paulas Bett eingenommen und hielt die Hand ihrer Tochter. Die starke Beruhigungsspritze zeigte ihre Wirkung. Paula lag ruhig im Bett, ihr Atem ging flach und regelmäßig. Nur unter den geschlossenen Augenlidern bewegten sich die Pupillen rasch hin und her, als ob sie auf der Flucht sei.
„Alles wird gut Paula, alles wird gut.“ Luise wiederholte die Worte mechanisch. Sie tat es zur Beruhigung von Paula und ihrer selbst. Sie betrauerte wie Paula den Verlust von Magarete, die sie sehr gerne gemocht hatte. Allerdings hatte sie nie eine so innige Beziehung zu ihr aufgebaut, wie ihre Tochter.
Magarete war ein Stück weit die Oma geworden, die Paula kaum kennengelernt hatte. Ihre, wie auch Walters Mutter, waren sehr früh verstorben, so dass Paula nur wenige Erinnerungen an sie hatte. Und dennoch war da noch etwas anderes zwischen Magarete und Paula gewesen. Luise hatte es gespürt und gerade am Anfang, aus einem ihr unerklärlichen Grund, war sie eifersüchtig gewesen. Völlig lächerlich im Nachhinein, denn die Gefühle die Mutter und Tochter füreinander empfanden, waren nicht mit denen von Magarete und Paula zu vergleichen.
Luise hatte versucht zu ergründen, wie die Beziehung der Beiden zu beschreiben war und scheiterte daran. Ein unsichtbares Band hatte sie verbunden, unerklärlich, aber für jeden sichtbar. Umso erschreckender, dass dieses Band nun für immer zerschnitten war.
Wie grausam das Leben ist, grausamer als der Tod vielleicht? In einer Partnerschaft blieb einer alleine zurück und kämpfte schwer mit dem Tod des geliebten Menschen.
Luise lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie mochte nicht an die Zukunft denken, an sich und Walter. Sie verbot sich rasch jeden weiteren Gedanken daran. Zum Glück wusste niemand, was die Zukunft brachte.
Paula stöhnte leise. Beruhigend streichelte Luise ihr über die Wange. „Schhhh, meine Kleine. Schlaf etwas.“
Nach einer Weile kam Steffen zurück und sah nach Paula. Er fühlte ihren Puls und atmete durch. „Jetzt wird sie erst mal schlafen. Wir können rüber zu Walter und Günther ins Wohnzimmer gehen“, schlug er schweren Herzens vor. Er machte sich große Sorgen um Paula, aber es gab hier nichts zu tun, solange sie schlief. Widerstrebend stand Luise auf, warf einen Blick zurück und folgte Steffen.
„Wie geht es ihr?“, fragte Walter. Seine Stirn lag in tiefen Sorgenfalten.
„Sie schläft. Das starke Beruhigungsmittel wird sie die ganze Nacht schlafen lassen. Günther, ich habe deiner Frau ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben. Du solltest jetzt zu ihr gehen, sie braucht dich.“
Günther erhob sich schwerfällig. „Gut. Vielleicht sehen wir uns morgen Nachmittag? Es gibt das ein oder andere zu besprechen.“
„Das machen wir“, antwortete Steffen. Zum Abschied nickte Günther und verschwand zu seiner Frau. Der Schock saß ihm immer noch tief in den Knochen.
„Und wie geht es jetzt weiter?“, stellte Walter die Frage, die sie alle beschäftigte.
Steffen zuckte kraftlos mit den Schultern. „Was mit Magarete geschieht, hat sie sicherlich schriftlich geregelt. Ich habe mich vorhin kurz in ihrer Wohnung umgesehen. Sie hat etliche Kartons sortiert und beschriftet, für wen sie bestimmt sind. Außerdem lagen dort adressierte Umschläge.“
„Woran ist sie gestorben?“ Luise sprach die Frage zögerlich aus.
„Ich konnte keine Fremdeinwirkung feststellen. Medikamente habe ich auch nicht gefunden. Meiner Einschätzung nach, hat sie sich zum Schlafen hingelegt und beschlossen, nie wieder aufzuwachen.“ Betreten sah Steffen auf seine Hände hinab, die den Schlüssel von Magaretes Wohnung fest umschlossen hielten.
„Ein Freitod.“ Walter schüttelte ungläubig den Kopf.
„So sieht es aus.“
„Wundern tut mich das nicht.
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