Linna singt
aussteigt, und obwohl mein Körper zu ihm eilen will, rühre ich mich nicht von der Stelle. Das ist ein Fehler, Falk, ein Fehler …
Doch er kommt nicht zu mir. Er öffnet nur die Klappe des Laderaums, streichelt Lunas Kopf und küsst ihn, flüstert ihr etwas ins Ohr, schlingt ihr die Leine um den Hals und setzt sie auf dem nassen Asphalt ab, um sie zu mir zu schicken.
Wortlos tippt er sich an die Stirn, sein Gesicht kann ich in der Dunkelheit nicht erkennen, doch es ist die Geste eines Matrosen, der seinem Käpt’n Goodbye sagt, wehmütig, aber zufrieden mit den vollbrachten Taten auf stürmischer See.
Als Luna sich an meine Beine schmiegt, hat Falk den Jeep schon gestartet; wir können nur noch dabei zusehen, wie er den Wagen wendet und mit knatterndem Motor an uns vorbeifährt. Kein Blick zurück, auch von ihm nicht.
»Du gehörst jetzt also mir, was?«, flüstere ich Luna zu und bücke mich, um die Leine zu lösen. Sie wird mir nicht fortlaufen. Dass Falk sie mir überlassen hat, ist nur der endgültige Beweis, dass er fliegen wird. Er möchte ihr diese Belastung nicht mehr zumuten. Vielleicht weiß er sogar, dass sie krank ist. »Dann machen wir zwei uns noch eine schöne Zeit. In Ordnung?« Wenn ich es denn schaffe, sie in mein Auto zu quetschen.
Moment, mein Auto … Der Anlasser ist kaputt! Hat Falk daran nicht mehr gedacht? Wie komme ich denn jetzt von hier weg? Ich kann ja schlecht auf der Straße kampieren, nicht mit einer altersschwachen, herzkranken Hündin. Und mein Handy hat keinen Saft, ich kann nicht einmal den ADAC anrufen.
Doch als ich mich wieder aufrichte und beinahe schüchtern durch die Tränen auf meinen Wimpern zu Jules’ Haus blicke, steht er immer noch in der Tür, die Arme vor dem Bauch verschränkt, und wartet. Wie ein kleiner, molliger Tornado saust Maggie an ihm vorbei die Stufen zum Vorgartenweg hinunter; kein Gruß, kein Blick, in den Armen ein paar Habseligkeiten, die sie noch in dem Haus seiner Eltern liegen hatte und mitnehmen möchte. Wohin geht sie jetzt? Doch eigentlich stellt sich diese Frage nicht. Maggie und Simon haben ein beneidenswert gutes Verhältnis zu ihren Eltern – wenn Maggie dort nicht unterkommt, dann bei Simon. Sie muss sich darum keine Sorgen machen.
Und ich? Was ist mit mir? Muss ich jetzt einen Abschleppdienst organisieren und in meine kleine, dunkle Wohnung zurückkehren? In eine andere Stadt, weit weg von den anderen? Vor einer Woche noch hatte ich mich überwinden müssen, sie zu verlassen und hierherzufahren. Jetzt kommt sie mir vor wie ein Knast.
»Wir telefonieren!«, ruft Simon mir zu, steigt ins Auto und lässt es an. Nichts wie weg hier. Für einen persönlichen Abschied haben die beiden keine Nerven mehr, wahrscheinlich will Maggie nur noch aus der Sichtweite von Jules kommen.
Doch Jules geht nicht ins Haus zurück. Auch jetzt bleibt er im Windfang stehen und ich spüre, dass er mich anschaut. Bittend? Auffordernd? Fragend?
»Mein Auto ist kaputt!«, rufe ich über die Straße. Klinge ich jetzt wieder kalt und distanziert? Oder hört er meiner Stimme an, dass ich nicht weiß, was ich tun soll? Jules drückt die Tür noch ein Stück weiter auf und macht einen Schritt zurück in den dunklen Hausflur. Eine Aufforderung zum Eintreten?
Ich bin froh, den Hund an meiner Seite zu haben, als ich die Straße überquere und durch das Törchen gehe. Mit einem Satz nimmt Luna die Stufen zur Eingangstür und trabt an Jules vorbei ins Wohnzimmer. Ja, sie kennt sich hier schon aus. Sie hat noch nicht begriffen, dass Falk tatsächlich fort ist. Ich auch nicht.
Jules sieht gerädert aus, er hat die ganze Zeit am Steuer gesessen, doch er wirkt bei all seiner Erschöpfung befreit; wie Maggie heute Morgen.
»Mehr kriegen wir von ihm nicht«, sage ich mit mildem Spott und deute ins Wohnzimmer, wo das Knatschen des Ledersofas uns verrät, dass Luna es sich gerade bequem gemacht hat. Jules erwidert nichts, sondern nimmt mich sacht beim Arm, um mich in die Küche zu führen, wo er sofort den Kühlschrank öffnet und das Gefrierfach durchwühlt. Ja, es ist nicht mehr die behaglich altmodische Küche von früher, aber eine moderne, funktionierende, mit elektrischem Licht, fließendem Wasser, einer Mikrowelle, einem Radio und einer gluckernden Heizung, die man nur aufdrehen und nicht anfeuern muss, um sich aufzuwärmen. Das Knacken und Knistern des Ofens fehlt mir jetzt schon.
»Was hältst du von Steak mit Fritten?«, fragt Jules.
»Steak mit Fritten klingt
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