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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wunderbar.« Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Darf ich nun heute Nacht hierbleiben oder nicht? »Jules, kommen deine Eltern nicht irgendwann zurück?«
    Mit einem bitteren Grinsen dreht er sich zu mir um. »Das ist nicht mehr das Haus meiner Eltern. Das ist Maggies und mein Haus. Und ich kann froh sein, dass sie mich nicht auf die Straße gesetzt hat, sondern mit Simon gefahren ist. Sie hätte das Recht dazu. Schließlich hab ich die Ehe torpediert. Ich darf das Ding die nächsten fünfzehn Jahre abbezahlen. Oh, Linna …« Für einen Moment überwältigt ihn die schiere Hoffnungslosigkeit und er setzt sich an den Tresen, um seinen Kopf aufzustützen, fast wie an dem Abend, als er hier stand und telefonierte. Doch so fertig und zerstört wie jetzt ist er mir tausendmal lieber als der aalglatte Businessman, den er mir vor einer Woche präsentiert hat.
    Ich lasse ihm seine fünf Minuten, um zu sich zu kommen, gehe aufs Klo und wasche mir die Tränen vom Gesicht. Als ich in die Küche zurückkehre, steht Jules bereits am Herd und brät die Steaks an. Ich funke ihm nicht dazwischen, sondern setze mich an den Tresen und warte dösend, bis er fertig ist.
    Wir essen schweigend, wie so oft in den vergangenen Tagen, doch dieses Mal ist es ein entspanntes Schweigen, ein »Wir verstehen uns wieder« -Schweigen und auch ein »Meine Fresse, schmeckt das lecker, endlich Fleisch« -Schweigen – oh ja, es ist das alte, vertraute Julesund-Linna-Schweigen. Vielleicht bin ich die Einzige, die er nicht ständig angelogen hat. In unserem Schweigen spürten wir, was uns verband. Wir waren beide Grenzgänger und wurden beide in dem, was wir taten, missverstanden. Doch nur wir selbst hätten diesen Zustand ändern können.
    Still bleiben wir beieinander sitzen, bis wir satt sind, gehen nacheinander unter die Dusche – nicht in Worte zu fassen, wie schön es ist, heißes Wasser auf den Kopf rieseln zu lassen – und finden uns in seinem alten Jugendzimmer wieder, wo Jules bereits das Bett frisch bezogen hat. Zwei Kopfkissen und eine Decke für uns beide, das muss reichen und es wird reichen.
    »Ich wollte immer einen großen Bruder haben.« Ich werde rot, als ich meine eigenen Worte höre, irgendwie sind sie mir unangenehm, so mädchenhaft und kitschig, wie sie aus meinem Mund tönen, doch Jules zieht mich zu sich und streicht mir durch meine feuchten Haare.
    »Das kann ich jetzt ja sein.«
    Ja. Das kann er. Weil ich mir sicher sein darf, dass er mich nicht will. Endlich ein Mann, der meinen Körper nicht will. Sondern nur meine Freundschaft, meine Nähe, mein Herz sucht. Meine Treue. Denn das kann ich gut, treu sein. Seufzend schließe ich die Augen.
    Wenigstens etwas bleibt. Jules und ich in seinem Haus. In seinem Zimmer. In seinem Bett. Mehr geht im Moment nicht. Mehr hat das Leben uns nicht zu bieten. Es fühlt sich an wie ein Königreich.
    »Linna?«, fragt Jules, die Zunge schon schwer vor Müdigkeit. Er ist kaum mehr da. »Falk hat … er hat … er ist …«
    »Schlaf«, flüstere ich.
    Ich bin froh, ich bin traurig, ich fühle mich ängstlich und mutig, verzweifelt und erlöst, jung und alt. Geläutert und voll brennender Fragen. Vergangen und ewig zugleich.
    Aber ich bin nicht mehr allein.

NO MAN’S LAND – REPRISE
    »No worries, mate. Take care.«
    Der Mann ließ mich in aller Ruhe aus seinem Geländewagen klettern, zwinkerte mir aufgeräumt zu und fuhr weiter. Hier, dachte ich und sah mich um. Ein Ort mehr auf Gottes fünftem Kontinent, dessen Farbenpracht und intensives Licht mich überwältigte. Es war anders, als ich es mir vorgestellt hatte – nicht enttäuschend, sondern noch schöner als auf den Fotos, denn ich hatte nicht an die Geräusche gedacht, als ich sie mir angesehen hatte. Doch das Paradies braucht seine Musik. Wenn ich jetzt gesungen hätte, wäre meine Stimme in dem grellen Vogelgezwitscher, dem Zirpen der Grillen, dem Summen der Käfer und dem Rauschen des Windes untergegangen. Eine Vorstellung, die mir sofort Mut verlieh, auch die letzten Meter zurückzulegen, die letzten Meter einer unfassbar langen Knochentour. Seit fünfzig Stunden war ich fast ununterbrochen unterwegs und hatte vor Aufregung kaum geschlafen. Doch ich fühlte mich nicht müde.
    Ich habe es tatsächlich getan, dachte ich, als ich den Pfad zum Strand einschlug. Ich habe ein Ticket gebucht, mich ins Flugzeug gesetzt und bin eingequetscht zwischen fremden, stinkenden und schwitzenden Menschen nach Down Under geflogen. Ich bin

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