Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
aus dem Gesicht. Sie half Peik, einen etwa einen Quadratmeter großen Garten anzulegen, und wenn Lisbeth etwas unternimmt, kann man sicher sein, daß es Spuren hinterläßt. Ihr Kittel war befleckt, ihr Gesicht schmutzig, und ihre Frisur glich einem Krähennest.
„Ja, wenn du mich zum Tattersall bringen willst.“
„Heute ist doch Mittwoch. Hast du nicht am Dienstag und Freitag Reitstunde?“
„Wir reiten heute Quadrille, weißt du. Eine Extrastunde. Wie spät ist es? – Morten, sei ein Engel und beschäftige meinen hoffnungsvollen Bruder, während ich mich umziehe! Ich muß mir auch ein paar hundert Gramm Vaterland von den Händen waschen. Ich komme in zehn Minuten!“
Ein paar Türen, die krachend ins Schloß fielen, und lange Schritte auf der Treppe verkündeten, daß Lisbeth nach obenging-
Ich blickte aus dem Fenster.
„Willst du nicht hereinkommen, Morten?“
„Nein, danke, ich mache lieber mit Peik solange eine kleineSpritzfahrt. Hast du Lust, Peik?“
„Sicher!“
Peik kletterte gewandt auf den Soziussitz. Man merkte, daß er darin einige Übung besaß. Sein Mund ging unaufhörlich. Er war mit Morten durch eine alte und solide Freundschaft verbunden.
Zehn Minuten später waren sie zurück, und kurz darauf erschien Lisbeth im Reitkostüm und mit klirrenden Sporen.
„Na, da bist du ja, du vornehme Dame“, sagte Morten lachend. „Dein untertänigster Diener wartet.“
Morten legte den Arm um Lisbeths Schulter, als müßte es so sein. Lisbeth ließ sich dadurch in ihrer munteren Plauderei nicht stören. Sie winkte mir mit der Reitpeitsche zu, und das Motorrad knatterte davon.
„Vornehme Dame“, hatte Morten gesagt. Ich blieb nachdenklich am Fenster stehen. Handelte ich Lisbeth gegenüber falsch? Sie war wirklich verwöhnt. Ich konnte es nicht leugnen. Heming machte von Zeit zu Zeit den Versuch, etwas abzubremsen. Er hatte es dabei mit mir nicht leicht. Ich war zu sehr in meine Tochter vernarrt. Ihre Wünsche – nun, ich erfüllte sie, soweit es möglich war. Schöne Kleider, Reisen, Gesellschaften, Reit- und Tennisstunden – schadet ihr das etwa? Sie nahm es als selbstverständlich hin und freute sich darüber. Und wenn ich Gewissensbisse bekam, dann tauchte stets ein ganz bestimmtes Bild vor meinen Augen auf: Lisbeth an ihrem siebenten Geburtstag. Das bleiche kleine Mädchen in dem Matrosenkleid, aus dem es herausgewachsen war. Das verständige kleine Ding, das daheim in einer dunklen Küche stand, Geschirr abwusch und sich mit tiefem Ernst eine Kochplatte zum Geburtstag wünschte. Schon damals hatte ich das Verlangen gespürt, Lisbeth aller Freuden teilhaftig werden zu lassen, die mir meine Kindheitverschönt hatten. Auch ich hatte Reitunterricht bekommen. Ich war viel gereist, hatte schöne Kleider gehabt und Vergnügen aller Art mitmachen dürfen. Warum sollte Lisbeth es nicht ebenso gut haben? So einfach schien es mir.
Ja, alles war bisher einfach gewesen. – Genau bis zu diesem Tage.
„Wo bleibt bloß Lisbeth?“ fragte Heming. Die Uhr war acht, und Lisbeth hätte schon vor einer Stunde zu Hause sein sollen.
„Ich habe keine Ahnung. Wenn sie nur nicht mit dem Pferd gestürzt ist. Sie reitet schrecklich waghalsig.“
In diesem Augenblick läutete das Telefon. Gott sei Dank, es war meine Tochter. Sie schien aufgeregt und redete sehr schnell.
„Ich bin es bloß, Mutti. Ich komme bald. Ich bin nur mit einigen von der Reitstunde eine Tasse Tee trinken gegangen. – Ja, ja – wundervoll! – Uff! – Ja, ich weiß, aber ich habe bloß Englisch und Geschichte. – Aber ja. – Warte einen Augenblick.“ Sie legte den Hörer aus der Hand, und ich hörte ferne Stimmen. Dann war sie wieder am Apparat. „Ist es in Ordnung, wenn ich um neun zu Hause bin? -Ja, doch. Ganz sicher. – Bis nachher.“
„Na?“ erkundigte sich Heming.
„Nein, es ist nichts weiter“, sagte ich. Es war ja nicht das erste Mal, daß Lisbeth anrief, um zu erzählen, daß sie durch eine Verabredung aufgehalten sei.
„Wirklich nicht?“ fragte Heming. „Glaubst du, ich kenne meine Frau nicht? Womit bist du nur halb zufrieden?“
Ich mußte lachen.
„Man kann vor dir auch nicht die allerkleinste Gemütsbewegung verbergen. Aber es ist tatsächlich nichts. Es war nur etwas in Lisbeths Stimme – sie war so ungewöhnlichaufgeregt. So – so – fieberhaft erregt – und das pflegt sie doch sonst nie zu sein!“
„Hm!“ sagte Heming. Und mehr war ja im Grunde auch nicht dazu zu sagen.
Kurz nach neun
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