Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
nach.
„Boor“, sagte Lisbeth. „Du weißt: Schiffsreeder Böor. -Aber jetzt muß ich mich in die verflixte Geschichte versenken.“
Sie verschwand, vergnügt pfeifend, und nahm zwei Stufen auf einmal, als sie nach oben eilte. Heming und ich aber blieben sitzen und sahen einander an.
„Verflixte Geschichte!“ wiederholte Heming Lisbeths Worte. „Ja, weißt du, Steffi – dies ist wirklich eine verflixte Geschichte!“
5
Die Uhr schlug eins.
Heming war leise nach oben gegangen und hatte die Tür zu Peiks Zimmer geschlossen. Denn wir plauderten noch immer im Bett. Keiner von uns konnte schlafen.
„Erling Boor!“ knurrte Heming. „Offen gestanden, er ist der letzte, den ich Lisbeth als Kavalier wünsche. Daß sie auch gerade auf den hereinfallen mußte!“
„Es kommt mir so vor, als hätte ich seinen Namen schon in irgendeinem Zusammenhang gehört“, überlegte ich.
„Sicherlich in keinem erfreulichen, darauf möchte ich wetten“, sagte Heming düster. „Ich jedenfalls weiß, in welchem Zusammenhang ich selber ihn gehört habe. Erinnerst du dich noch an den Schulskandal vor sieben, acht Jahren? Die Geschichte mit dem fünfzehnjährigen Mädchen, das von einem Schüler zu häßlichen Dingen verleitet wurde? Natürlich erinnerst du dich daran. Ich auch. Der Schüler war Erling Boor. Er sollte von der Anstalt verwiesen werden, aber Papa Boor ordnete die Sache so, daß er ihn freiwillig aus der Schule nahm. Er wurde dann auf ein Internat geschickt, und die Sache konnte so einigermaßen vertuscht werden. Es liegt mir nicht, alte Geschichten aufzuwärmen, aber…“
„Vielleicht hat er sich zu seinem Vorteil geändert“, suchte ich den jungen Boor zu verteidigen. „Es wäre ungerecht,ihm eine Schulgeschichte auf Zeit und Ewigkeit anzuhängen, findest du nicht?“
„Im Prinzip ist das auch meine Meinung. Aber Erling Boor hat leider auch heute noch einen schlechten Ruf. Viele Frauengeschichten, so hörte ich.“
„Und sagen wir das Lisbeth, dann…“
„Dann wird er natürlich für sie nur noch interessanter. Oder sie zeigt sich höchst empört und verlangt, daß wir beweisen sollen, was wir behaupten. Das aber ist eben die Sache. Ich weiß nichts Bestimmtes, das sich anführen ließe; ich weiß nur, daß an ihm etwas – nun ja, etwas Unzuverlässiges ist, um einen vorsichtigen Ausdruck zu gebrauchen. Der einzige Sohn eines reichen Mannes kann es nicht vermeiden, daß man von ihm spricht. Und es wird sehr viel von ihm gesprochen.“
„Vielleicht ist es mit Lisbeth nicht so ernst, Heming. Natürlich schmeichelt es ihr, daß ein erwachsener junger Mann sich für sie interessiert. Sie ist ja schließlich nur ein Schulmädchen von siebzehn Jahren. Am Ende malen wir den Teufel an die Wand, Heming. Lisbeth ist doch bis jetzt immer zuverlässig und offen gewesen!“
Heming lag eine Weile still da und runzelte die Stirn.
„Ja, ehrlich ist sie. Aber, Steffi“ – er richtete sich auf den Ellbogen auf und wandte sich mir zu –, „es war heute etwas in ihrer Stimme, das mir nicht gefiel. Ich hörte – einen falschen Ton.“
„Sie war doch so lieb und angeregt und begeistert und erzählte so bereitwillig…“
„Ja. Glücklicherweise. Und solange sie das tut, können wir froh sein.“
„Solange sie es tut? Ja, weshalb sollte sie es denn nicht auch weiterhin tun?“
Heming wartete eine Weile, bevor er antwortete. Dann sagte er langsam und wohlüberlegt: „Bisher, Steffi, war es nicht schwer für uns, Lisbeths vertrauliche Mitteilungen anzuhören und ihr mit Verständnis zu begegnen. Wie aber wird es werden, wenn wir ihre Offenherzigkeit mit Ermahnungen und Vorwürfen beantworten müssen? Dann beginnt unsere Lisbeth ihre eigenen Wege zu gehen. Wir können den Kontakt mit ihr verlieren. Das Problem, vor dem wir stehen, lautet: Wie passen wir auf sie auf und wie helfen wir ihr, ohne den Verlust ihres Vertrauens zu riskieren?“
„Nein, Heming, jetzt dürfen wir aber nicht über das Ziel hinausschießen. Es ist ja nichts weiter geschehen, als daß sie ein junger Mann vom Reitklub in seinem Wagen nach Hause gebracht hat. Das ist der einfache, nüchterne Tatbestand, und es liegt kein Grund vor, sich deshalb besonders aufzuregen.“
„Vergiß nicht, daß er sie für Montag eingeladen hat! Gebe Gott, daß sie an diesem Tage einen ganz fürchterlichen Schnupfen bekommt – oder vielleicht ein riesiges Zahngeschwür!“
Da mußte ich trotz allem lachen.
„Oder gebe Gott, daß der junge
Weitere Kostenlose Bücher