Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
Boor von irgendeinem Frauenzimmer eingefangen wird und für unser kleines Mädchen das Interesse verliert.“
„Da habe ich wenig Hoffnung“, brummte Heming. „Über eines mußt du dir klar sein: unsere kleine Lisbeth hat einen ganz gefährlichen Charme. Ich kann es im Grund sehr gut verstehen, daß der junge Bursche von ihrer Frische und Jugend begeistert ist. Einen gescheiten Kopf hat sie auch, die kleine Hexe…“
Hemings Stimme bekam einen warmen Klang, als er „kleine Hexe“ sagte.
„Machen wir uns nicht wie alte, besorgte Eltern um unsere erwachsene Tochter Gedanken?“ sagte ich. „Es ist gar zu plötzlich gekommen, und ich weiß nicht, wie wir die Sache angreifen sollen.“
„Vorläufig einmal müssen wir abwarten“, meinte Heming. „Und wir wollen alles tun, daß wir Lisbeths Vertrauen nicht verlieren. Wir dürfen ihr nichts verbieten, solange es nicht absolut notwendig ist. Wir müssen uns ihr Geplauder anhören. Sie soll das Gefühl haben, daß sie noch immer mit allem, was sie auf dem Herzen hat, zu uns kommen kann. Einen anderen Rat weiß ich auch nicht.“
„Heming, du bist prächtig!“
„Dann mußt du mich angesteckt haben“, lächelte Heming. Sein Arm schlich sich unter meinen Nacken. „Steffi, mein Mädchen! Wir sind doch immerhin unser zwei in dieser schwierigen Lage. In dieser wie in allen anderen.“
„Und wir sind unser zwei an allen glücklichen Tagen“, murmelte ich mit dem Mund an seiner Wange.
„Dich schickt der Himmel, Marianne!“ sagte Lisbeth, als Marianne am Samstagnachmittag bei uns erschien. „Du hast so geschickte Finger. Sag mir, was ich mit diesem Kleid machen soll!“
Lisbeth hatte ein ganz allerliebstes Nachmittagskleid angezogen, das ihr ausgezeichnet stand.
„Was du mit dem Kleid machen sollst? Es sitzt doch wie angegossen!“
„Ach, weißt du, es ist so kurz. Und es hat keinen richtig breiten Saum. Und wenn doch alle Menschen in langen Kleidern herumlaufen…“
„Unsinn, Lisbeth, das tun durchaus nicht alle Menschen. Du bist schließlich noch ein siebzehnjähriges Mädchen. Und außerdem solltest du dich so anziehen, daß das Kleid zu deinem Typ paßt. Du bist ein Sporttyp, Lisbeth. Hemdbluse und Hosen, das kleidet dich am allerbesten.“
„Ja, besonders, wenn ich im besten Restaurant soupiere!“
„Nein, das geht natürlich nicht. Da mußt du schon dieses Kleid anziehen. Aber ändere es nicht um, Lisbeth! Es sieht so, wie es ist, ganz allerliebst aus. Und niemand erwartet, daß eine Siebzehnjährige im langen Abendkleid auftritt.“
Lisbeth riß das Kleid herunter.
„Naja, meinetwegen. Dann muß ich es eben so anziehen. Aber es ist kein Vergnügen, wie ein kleines Mädchen auszusehen, das ausnahmsweise einmal mit Erwachsenen am Abend ausgehen darf!“
„Aber du bist doch noch ein kleines Mädchen, Lisbeth – ich meine, im Vergleich mit den anderen. Bist du nicht die jüngste in der Quadrille?“
„Das bin ich wohl“, gab Lisbeth verdrießlich zu.
„Mach dich nicht zu etwas, das du nicht bist, Lisbeth!“ sagte Marianne lächelnd. „Wenn die anderen dich mithaben wollen, dann gerade deshalb, weil sie dich so, wie du bist, gut leiden können. Vergiß das nicht! Sie würden kein Interesse für dich haben, wenn du plötzlich eine erwachsene Dame nachahmst.“ Lisbeth mußte lachen.
„Du bist so altklug, Marianne. Es ist gar nicht zu glauben, daß du meine Freundin bist. Man sollte denken, du wärest Muttis Freundin!“
„Aber das ist Marianne doch auch!“ lachte ich. „Mir scheint, wir sind im Grunde alle drei Freundinnen. Meinst du nicht?“ Da drückte mich Lisbeth flüchtig an sich, und die Stimmung war gerettet. Einen Augenblick darauf krochMarianne, geduldig wie ein Engel, mit Peik auf dem Rücken über den Fußboden, während Lisbeth in der Mitte des Zimmers stand, kommandierte und den Zirkusdirektor spielte.
Ich lächelte erleichtert. Lisbeth war doch noch immer ein Kind! Sie paßte nicht zu dem jungen Boor. Er würde ihrer bald überdrüssig sein.
Beim Abendessen sprachen wir von unseren kleinen alltäglichen Angelegenheiten, und Marianne plauderte mit. Sie sprach jetzt lebhafter als früher und machte häufig von ihrem hübschen Lächeln Gebrauch. Nun wirkte sie nicht mehr so bleich und farblos. Ihre Wangen hatten eine leichte, rote Färbung bekommen, und wenn ihre Stimme auch noch immer leise und ruhig war, so klang sie doch viel frischer als früher.
Dann setzte ich mich mit dem Stopfkorb an den Tisch. Mein
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