Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
Gesicht gewichen.
„Und weißt du, Lisbeth – als ich kürzlich hier mit ihm zusammentraf – da überkam mich wieder dasselbe Gefühl: das Gefühl von einer Flachheit und Leere. Er brachte die Atmosphäre seines Elternhauses mit. Und von dieser Atmosphäre zu sprechen, habe ich ein Recht, denn es ist dieselbe Atmosphäre, wie sie in dem Heim meiner Kindheit herrschte.“
Lisbeth blieb einen Augenblick stehen. Dann wandte sie sich um und ging still hinaus.
15
Frau Vesterholm hatte dasselbe blasse, etwas farblose Äußere, wie Marianne es gehabt hatte, als ich sie zum ersten Male sah. Ihr Haar war stark ergraut, ihr Gesicht trug die Runzeln, die das Leben selber hineingemeißelt hatte. Enttäuschungen und Nahrungssorgen hatten diesen Meißel unbarmherzig geführt. Aber ihre Augen waren groß, funkelnd und schön, und ihr schlichtes Kleid saß wie angegossen und ließ die Formen ihrer schlanken Gestalt erkennen.
Ich hatte sie regelrecht überrumpelt. Eines Tages machte ich ihr kurz entschlossen, ohne vorherige Anmeldung, einen Besuch. Ich sagte ihr… wir wollten sie nicht länger entbehren, zumal ihre Tochter uns doch jetzt so nahestehe. Bevor Frau Vesterholm sich noch richtig hatte fassen können, hatte sie in ihrer Verwirrung unsere Einladung schon angenommen und versprochen, am nächsten Tage zu uns zum Tee zu kommen.
Sie war scheu und still; aber wenn sie einmal lächelte, dann leuchteten ihre Augen auf, und ihr Gesicht bekam einen warmen Ausdruck. Das Gespräch schlich ziemlich träge dahin. Frau Vesterholm war es nicht gewohnt, mit anderen Menschen gesellig zu verkehren. Und sie merkte, daß wir es wußten. Das machte alles noch viel schwieriger.
„Frau Vesterholm“, sagte Lisbeth, „sehen Sie es gern, daß Marianne und ich Freundinnen sind?“
Dies war nun eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Mariannes Mutter, lächelte. „Danach brauchst du mich wohl nicht zu fragen, Lisbeth!“
„Vati und Mutti sind nämlich von unserer Freundschaft sehr begeistert. Marianne hat auf mich einen guten Einfluß, soweit ich es beurteilen kann…“ Ihre Augen blickten schelmisch. „Ich bin nämlich ein unmögliches Kind, müssen Sie wissen! Ich bin ein ganzes Paket von Nägeln zu Vatis und Muttis Särgen. – Aber, wenn Sie es gern sehen, daß Marianne und ich Freundinnen sind, wollen Sie es mir dann nicht erlauben, daß ich Sie Tante Lillian nenne?“
Lisbeth hatte sich ganz Frau Vesterholm zugewandt, und ihr Blick war offen und grundehrlich. Und wieder einmal wurde mir um Lisbeths willen so warm ums Herz.
In Frau Vesterholms Wangen stieg eine schwache Röte. Sie versuchte mühselig, sich zu fassen. Ihre Lippen zitterten einen Augenblick. Endlich aber sagte sie leise und ruhig:
„Ich fände das sehr nett.“
„Fein!“ sagte Lisbeth. „Einfach prima. Außerdem ist Lillian der schönste Name, den ich kenne.“
Ich lachte. „Meine Tochter hält nicht besonders viel von Förmlichkeiten“, sagte ich. „Ich hoffe, Sie entsetzen sich nicht gar zu sehr über sie, Frau Vesterholm.“
Das ängstliche, schwache lächeln auf Frau Vesterholms Gesicht wich einem vollen, warmen und vertrauenden Glanz. „Nein“, sagte sie, „im Gegenteil.“ Ihre Augen blieben an Lisbeths Gesicht hängen, und sie wiederholte mit Nachdruck: „Im Gegenteil.“
Das Eis war gebrochen. An jenem Tage, als es Lisbeth gelang, Frau Vesterholm an das Klavier zu locken und als diese mit einer etwas ungeübten, aber glockenreinen Stimme eine Operettenmelodie sang, beglückwünschten wir uns alle. Und Marianne saß mit großen blanken Augen da und lauschte…
Ich gelobte mir, es solle nicht bei diesem einen Male bleiben. Denn am Klavier fand Frau Vesterholm sich wieder. Sie gewann das verlorene Selbstvertrauen zurück, und die Zeit ihrer Jugend mit ihrem Lebensmut und ihrer Unbefangenheit wurde in ihr von neuem lebendig. Ich spürte, daß sie ein Mensch war, den ich liebgewinnen würde.
Die Tage vergingen, Peik war wieder wohlauf. In wenigen Tagen sollten wir nach Geilo reisen. Ich beobachtete Lisbeth im stillen. Sie war aufmerksam und höflich, aber es war etwas Verschlossenes an ihr. Sie plapperte und schwatzte nicht so wie früher. Dachte sie noch immer an Erling Boor? Und – was Gott verhüte! – beabsichtigte sie noch immer, ihn zu heiraten! – zu heiraten! – Ach, mein naives, vertrauensvolles Mädchen! Daß sie auch nur eine Sekunde hatte glauben können…
Mariannes Erzählung hatte auf sie einen tiefen
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