Listiger Freitag
angeboten, den Skelettjungen zu vertreiben«, murmelte Blatt und staunte über sich selbst. »Ich muss verrückt gewesen sein!«
Es war ihr tatsächlich gelungen, die Machtquelle des Skelettjungen, eine abgerissene Hemdtasche von Arthur, zu finden, und sie hatte es sogar geschafft, sie Susi Türkisblau zu übergeben, allen Widrigkeiten zum Trotz. Aber dabei hatte sie sich mit dem Pilz infiziert, durch den der Skelettjunge jeden ihrer Gedanken und Schritte beeinflussen konnte …
Immer mehr Erinnerungen kamen zurück und fügten sich zu einem Ganzen. Tiefe Falten gruben sich in Blatts Stirn, während sie sich zusammenreimte, was passiert sein musste. Offenbar hatte Susi die verzauberte Hemdtasche Arthur ausgehändigt, und der musste sie benutzt haben, um den gefährlichen Nichtling aus der Welt zu schaffen. Denn wenn einer von beiden versagt hätte, wäre Blatt jetzt nicht bei Bewusstsein, sondern eine willenlose Sklavin des Skelettjungen.
Aber Blatt fühlte sich nicht wie ein Sieger, denn ihr fiel soeben wieder ein, dass sie nicht zum ersten Mal seit der Ansteckung mit dem verstandkontrollierenden Pilz das Bewusstsein wiedererlangte.
»Da war ein Sanitätszelt … ein provisorisches«, sagte Blatt. Mit sich selbst zu reden half ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. »Ich habe die schleimigen Rückstände von dem Pilz hochgewürgt und erbrochen …«
Blatt stöhnte auf und presste die Knöchel gegen die Schläfen, als ihr noch etwas anderes einfiel: Nach den Worten der Krankenschwester hatte sie eine Woche im Koma gelegen. Von Donnerstagnachmittag bis Freitagmorgen.
Aber wie lang ist das her?, fragte sie sich. Ich muss nochmal ins Koma gefallen sein, oder …
Blatt hörte auf, sich die Schläfen zu reiben, und ließ sich mit der Stirn auf die Matratze fallen, was sie gleich mehrmals wiederholte. Es war eine schlechte Angewohnheit, aber sie konnte nicht anders. Wenn irgendetwas schieflief, schlug sie sich immer an den Kopf – mit etwas Weichem.
Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war die Schwester, die auf eine näher kommende Ärztin zeigte und dann die entsetzlichen Worte sprach: »Doktor Freitag, stell dir nur vor! Wir nennen sie alle Lady Freitag …«
Blatt entsann sich noch der schrecklichen Angst, die in ihr aufgestiegen war, als sich eine unglaublich schöne Frau mit einer ganzen Schar von Leuten im Schlepptau ihrem Bett näherte … aber dann gab es in ihrer Erinnerung ein Loch.
Doktor Freitag – die eindeutig aus dem Haus stammte und in Wirklichkeit die Treuhänderin war, die Lady Freitag genannt wurde – musste ihr etwas angetan haben.
Vielleicht habe ich sogar noch mehr Zeit verloren, dachte Blatt. Alles Mögliche könnte passiert sein. Arthur. Meinen Eltern. Ed. Allen.
Ein Geräusch schreckte Blatt auf. Sie lauschte wie erstarrt, dann kroch sie hinters Bett und von dort ans Fußende, um nach der Ursache Ausschau zu halten. Jemand drückte die Flügeltür am anderen Ende des Zimmers auf. Dann glitt etwas durch den Spalt. Es dauerte einen Moment, bis Blatt es als Eimer identifizierte, der von einem Wischmopp geschoben wurde. Gleich darauf erschien die Person hinter dem Wischmopp und kickte mit geübter Ferse die Tür hinter sich zu.
Sie sah ganz normal und menschlich aus: eine Frau mittleren Alters mit deprimierten Augen und zweckmäßigem Pferdeschwanz, die einen grünen Kittel, grüne Latzhosen und weiße Gummistiefel trug. Blatt war ausgesprochen erleichtert: Wäre die Frau eins neunzig und auffallend schön, wäre sie wahrscheinlich eine Bürgerin und Blatt somit wieder im Haus.
Nachdem die Putzfrau die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb sie kurz stehen, um den Wischmopp in den Eimer einzutauchen, und begann, den etwa zwei Meter breiten Gang in der Mitte des Zimmers zu putzen. Sie wirkte nicht übermäßig aufmerksam, aber das leere Bett konnte sie unmöglich übersehen.
Blatt sah sich nach irgendetwas um, das als Waffe taugen könnte, und überlegte, ob ihre Beine sie wohl diesmal tragen würden. Sie fühlte sich unglaublich schwach, eine Folge der langen Bettruhe, aber die Furcht verlieh ihr Stärke. Da war etwas an den ganzen schlafenden Gestalten in den übrigen Betten, was ihr einen Schauder über den Rücken jagte. Der Raum kam ihr nicht wie ein normales Krankenhauszimmer vor, er musste etwas mit Lady Freitag zu tun haben.
Sie ließ den Blick durch das Zimmer schweifen und fand ihren Eindruck bestätigt: An den Wänden oder neben den Betten gab es nichts von der üblichen
Weitere Kostenlose Bücher