0474 - Der Hexenstein
Irgendwann hatte die höllische Fahrt des Zuges ein Ende. Der Zombie lag zwischen Gleis und Tunnelwand, und zwar so, daß er dem verschwindenden Autozug nachschauen konnte, dessen rote Schlußleuchten von der Dunkelheit verschluckt wurden.
Der Zombie blieb liegen!
Er konnte nicht aufstehen, es hätte ihn zuviel Kraft gekostet, und er spürte den wütenden Schmerz in seinem Körper. Besonders an der Stelle, wo ihn die Klinge beim Handgemenge mit seinem Gegner getroffen hatte.
Die Wunde würde ihn nicht sein unseliges Leben kosten, schließlich hatte der Dolch dem Zombie gehört, und er war auch nicht aus geweihtem Silber gewesen.
Ein Engländer war sein Gegner gewesen, ein Mann, den er zunächst unterschätzt hatte, der aber das Grauen in dem kleinen Bergdorf Kandersteg hatte stoppen können.
John Sinclair hieß der Mann. Der Zombie würde diesen Namen nie vergessen. Er hatte sich in seinem Inneren eingegraben. Wenn der Zombie irgendwann die Kraft fand, sich aus dem Tunnel zu befreien, wollte er es diesem Sinclair zeigen. Und allen anderen, die ihm in den Weg liefen.
Nur brauchte er auch eine gewisse Unterstützung. Ein starker Helfer mußte her!
Der Tunnel war unter großen Mühen in das Bergmassiv getrieben worden. Er verband das Berner Oberland mit dem Wallis und war ungewöhnlich stark frequentiert. Bei seinem Bau hatte es viele Opfer gegeben. Aber das lag alles zurück, und daran wollte der Zombie, der auf den Namen Thomas hörte und einmal als Oberkellner im Royal-Hotel Gemmi gearbeitet hatte, nicht denken.
Ihn interessierte die Gegenwart.
Er mußte überleben. Daß ihm dies gelingen würde, daran gab es für ihn keinen Zweifel, auch wenn ihm der Zug mit seinen scharfen Rädern schwer zugesetzt hatte. Aus diesem Grunde war der Zombie längst nicht mehr so beweglich wie sonst.
Er kroch voran. Den Kopf konnte er kaum heben. Aus seinen starren, leblosen Augen starrte er in den schwachen rötlichgelben Lichtschein, der unter der Decke eine hellere Insel bildete.
Da mußte er hin!
Die Schienen glänzten wie matte Spiegel, und als der Zombie endlich das Licht erreichte, kippte er nach hinten, wo sich in der Tunnelmauer eine Nische befand.
Hier fühlte er sich einigermaßen sicher. Ein Versteck, in dem er vorerst bleiben und seine Wunden lecken konnte. Er hockte in einer schrägen Haltung, mit dem Rücken an der kalten Wand. Doch er als Zombie spürte weder Hitze noch Kälte. Er sah zwar aus wie ein Mensch, war trotzdem keiner, sondern ein lebender Toter.
Lange hatte er sein Unwesen in Kandersteg getrieben, bis man ihm auf die Spur gekommen war.
Zusammen mit den lebenden Toten, die aus den Gräbern des kleinen Friedhofs gestiegen waren, hatte er das kleine Luxus-Hotel in eine Hölle verwandelt. Seine Tarnung war gut gewesen. Keinem Gast hatte auffallen können, wer sich tatsächlich hinter dem Aussehen des smarten Thomas verbarg.
Eine Bestie in Menschengestalt, ein grauenvolles, seelenloses Monster, gnadenlos und eiskalt. Allein darauf geeicht, Menschen zu töten.
Das war nun vorbei.
Aber nicht für immer.
Thomas spürte, daß er sich rächen mußte. Rächen an den Menschen und auch an einem Mann namens John Sinclair. Aber das brauchte Zeit. Nicht Tage, auch nicht Monate, es konnten ruhig Jahre vergehen. Irgendwann würde er eine Chance erhalten.
Er lehnte den Kopf zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen, ohne allerdings etwas erkennen zu können. Aus dem Mund drangen stoßweise keuchende und grunzende Laute.
Er schüttelte sich. Da der Mund offenstand, floß speichelähnliche Flüssigkeit heraus. Er wischte sie weg, als würde sie ihn stören.
Auf seine Helfer konnte er sich nicht mehr verlassen. Die hatte dieser Sinclair getötet. Und als einzelner richtete er auch nicht viel aus. Im Augenblick waren die Menschen wachsam, zu wachsam für ihn, aber er kannte sie sehr gut. Die Zeit heilte alle Wunden. Irgendwann würde Gras über die Sache gewachsen sein, und dann war seine Zeit gekommen, da konnte er zurückschlagen, noch härter und gnadenloser als zuvor. Nur mußte er sich ein Versteck suchen.
In der Nische wollte er nicht bleiben. Die Gefahr einer Entdeckung war einfach zu groß. Der Tunnel wurde regelmäßig überprüft, und noch sollten die Menschen denken, daß es ihn nicht gab.
Ein Ungeheuer brauste plötzlich an der Nischenöffnung vorbei und drückte die Luft als Schwall herein, so daß seine Kleiderfetzen anfingen zu flattern.
Das Rattern der Räder, das Schaukeln der Wagen, die
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