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Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland

Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland

Titel: Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Dirk Petersdorff
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die Umwelt ihre Energien lenkt. Die deutsche Gesellschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrer Hochschätzung soldatischer Tugenden aber leitet Mahlke zur Bewunderung eines U-Boot-Kommandanten und zu den folgenden Handlungen und Verstrickungen an, die schließlich zu seinem Tod führen. Das Ritterkreuz stellt den Wendepunkt dar, mit dem die fallende Handlung der Novelle beginnt. Dieses zentrale Textelement weist auch zurück in die deutsche Geschichte, denn es wurde in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gestiftet. Grass will damit auf historische Kontinuitäten hinweisen; auch die Institution Schule sieht er von solchen Kontinuitäten bestimmt.
    Grass führt vor, dass es einen ursprünglichen Defekt im Menschen gibt, den man Sünde nennen kann, er argumentiert aberauch politisch und bereitet damit Diskussionen vor, die die Sechzigerjahre bestimmten. Ein neues gesellschaftliches Klima, das die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit forderte, autoritäre Strukturen kritisierte sowie eine neue Offenheit im Umgang mit Sexualfragen hervorbrachte, ist hier bereits spürbar. In ein einfaches Fortschrittsschema ist «Katz und Maus» allerdings nicht zu pressen. Denn es spricht ein Erzähler, der beichtet und der detailliert eine intensive Marienverehrung beschreiben kann. Ebenso kann er mit Einfühlungsvermögen den Wunsch Joachim Mahlkes darstellen, Panzerheld zu werden. Die jüngste Debatte um die Verstrickungen des jungen Grass in den Nationalsozialismus hat die Lektüre von «Katz und Maus» verändert: Der Autor steckt nicht nur in dem Ich-Erzähler Pilenz, sondern empfindet auch mit Mahlke. Günter Grass, der zum wichtigsten Repräsentanten der bundesrepublikanischen Literatur wurde, kommt aus einer anderen Welt: «Getauft geimpft gefirmt geschult. / Gespielt hab ich mit Bombensplittern. / Und aufgewachsen bin ich zwischen / dem Heilgen Geist und Hitlers Bild». Dort, wo er von dieser Welt erzählt und sie mit den Erfahrungen der neuen Gesellschaft in Spannung setzt, ist sein Werk am lebendigsten.
    Wie sieht die bundesrepublikanische Gesellschaft inzwischen aus? Seit dem Kriegsende hat sich die Bevölkerungszahl erheblich erhöht, hat es eine Durchmischung durch Einwanderungswellen gegeben. Waren es zunächst die Vertriebenen aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches, so bildete sich danach ein Strom von Flüchtlingen aus der DDR, bis in den Sechzigerjahren die sogenannten Gastarbeiter aus Süd- und Südosteuropa hinzukamen. Diese Gruppen trugen zur wirtschaftlichen Dynamik der jungen Bundesrepublik bei. Von 1950 bis 1973 bestand eine Phase der Hochkonjunktur, stiegen die Einkommen, herrschte nahezu Vollbeschäftigung. Die soziale Absicherung durch den Staat wurde ausgebaut, das Konsum- und Freizeitverhalten weitete sich aus: Man baute ein Eigenheim, verglich das eigene Auto mit dem des Nachbarn, schaffte technische Geräte an; die Pille veränderte das Sexualverhalten; der Kirchenbesuch ließ nach. Es wäre falsch zu sagen, dass in dieser Gesellschaftdie sozialen Unterschiede verschwanden. Aber der allgemeine Wohlstandszuwachs erfasste alle gesellschaftlichen Schichten, darüber hinaus wurden die Ungleichheiten auf dem Weg des Konfliktmanagements (Tarifverhandlungen, Mitbestimmung, Arbeitsrecht) entschärft. So verbreiterte sich die Mittelschicht, in der überlieferte Mentalitäten ihre abgrenzende Kraft verloren. Ein Gefühl der Sicherheit breitete sich aus:
    Wir können nicht klagen.
Wir haben zu tun.
Wir sind satt.
Wir essen
    Das Gras wächst,
das Sozialprodukt,
der Fingernagel,
die Vergangenheit
    Die Straßen sind leer.
Die Abschlüsse sind perfekt.
Die Sirenen schweigen.
Das geht vorüber.
    So beginnt Hans Magnus Enzensbergers «Middle Class Blues». Von einer Gesellschaft, die Konflikte ebenso abmildert wie Härten der Lebensführung, in der man weniger arbeiten muss, mehr Freizeit besitzt, sich um das eigene Wohlergehen kümmern kann, berichten mit wachem Blick auch die Komiker der frühen und mittleren Bundesrepublik. Zu nennen ist
Heinz Erhardt
(1909–1979), der über die großen Generäle spottet, die nun ihre Ober- und Unterhemden im Schrank kommandieren, der einen «Chor der Müllabfuhr» dichtet und die wachsende Wohlgenährtheit erfasst: «Alles im Leben geht natürlich zu, nur meine Hose geht natürlich nicht zu.» Sein Witz unterläuft Pathosansprüche, die Klassiker werden zitiert, um sie zu entdramatisieren. Aber in die vermeintliche Sicherheit der neuen Ordnung ruft Erhardt auch

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