Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland
durch, um das Auftreten neuer Phänomene in verschiedenen Künsten zu bezeichnen. Sichtbarstes Beispiel war die Architektur, deren damals gesetzte Impulse bis heute fortwirken; sowohl Frank Gehrys (*1929) berühmtes Guggenheim-Museum in Bilbao wieauch die zahlreichen Rekonstruktionen historischer Gebäude (Frauenkirche in Dresden, Museumsinsel in Berlin) sind ohne die postmoderne Neuorientierung nicht denkbar. In der Literatur hatte Umberto Ecos Roman (*1932) «Der Name der Rose», der 1980 erschien, Signalwirkung.
Allerdings ist der Begriff der Postmoderne unglücklich gewählt. Denn er behauptet, dass sich die Kunst in einem Zeitalter nach der Moderne befände. Aber von einem Ende der modernen Gesellschaft im politischen, wirtschaftlichen oder juristischen Sinn kann nicht die Rede sein. Auch wesentliche Bestimmungen, die die Kunst am Anfang der Moderne erfuhr, haben ihre Gültigkeit behalten. Man muss nur auf die Autonomie der Kunst gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Religion) und gegenüber moralischen oder pädagogischen Normen verweisen.
Sinnvoll kann man den Begriff ‹Postmoderne› so bestimmen, dass damit eine Neuorientierung in den Künsten bezeichnet wird: Die Formensprache vervielfältigte sich, das ästhetische Feld wurde erweitert. Man erkannte jetzt: Auf die Situation der Gegenwart sind ganz verschiedene ästhetische Antworten möglich. Am Beispiel der Malerei: Im 20. Jahrhundert galt jahrzehntelang allein die Abstraktion als angemessene Ausdrucksform; es wurde eine notwendige Entwicklung von der gegenständlichen zur ungegenständlichen Malerei behauptet; es herrschte die Idee eines zwingenden ästhetischen Fortschritts. Am Ende des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts steht man solchen Behauptungen und Fortschrittskonstruktionen skeptisch gegenüber; realistisch-figurative Malerei, die einen Bezug zur Außenwelt besitzt, wird als Möglichkeit des Selbstausdrucks und der Weltwahrnehmung akzeptiert. Eine Mentalität, die Gebots- und Verbotsschilder aufgestellt hatte, wurde von einer Mentalität abgelöst, die lustvoll höchst verschiedene Elemente kombiniert, lange Vergangenes ans Tageslicht holt, beweglich und spielerisch auftritt.
In der Literatur des 20. Jahrhunderts hatte zwar nie ein Konzept Ausschließlichkeitsansprüche durchsetzen können. Sehr wohl aber gab es dominante Positionen. So herrschte im Bereichder Prosa die Ansicht vor, dass das auktoriale Erzählen überholt sei; ebenso wurde die Vorstellung eines abgeschlossenen, einheitlichen Werkes kritisiert. Die Bedeutung der Handlung eines Romans, überhaupt der Entwurf von freien und handlungsmächtigen Charakteren, wurde in Zweifel gezogen. Auf der Seite des Lesers sollte kein Vergnügen entstehen, es wurde eine Irritation oder Verstörung gefordert. Ähnliches galt für Gedichte. Hier schienen reimlose Gedichte mit unregelmäßigen Rhythmen allein dem fortgeschrittenen Bewusstseinsstand angemessen zu sein. Gedichte mit Strophenform und fester Rhythmik standen im Verdacht, die Gegensätze und Spannungen, die im Menschen und in der Gesellschaft herrschten, harmonisierend aufzulösen.
Genau gegen solche Festlegungen der modernen Kunst wandte sich die Postmoderne. Die Formeln «Innovation», «Traditionsbruch», «Regelverletzung» hatten ihren Reiz verloren. So aufregend etwa die freien Rhythmen in ihren Anfängen waren – sie konnten zur Routine werden. Die Vorstellungen, dass die Kunst sich vom Alltag und von populären Ausdrucksformen abzusondern habe, dass sie kein Vergnügen, sondern Anstrengung bereiten müsse und dass sie sich auf die Gesellschaft nur in der Haltung der Kritik oder des Widerstandes beziehen dürfe, wurden einer Revision unterzogen. Dies hing auch mit einer zunehmenden Akzeptanz der liberalen Gesellschaft bei Intellektuellen und Künstlern zusammen. Wenn die Kunst sich unter solchen Vorzeichen aus einem zu engen Moderne-Schema löste und sich alter, scheinbar überholter Formen bediente, wenn man poetische Regeln wieder beachtete, dann geschah dies nicht naiv, sondern durchdacht, oft in ironischem Gestus:
Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut
hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut
darüber, daß so’n abgefuckter Kacker
mich mittels
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