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Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland

Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland

Titel: Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Dirk Petersdorff
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dir vor
du kommst nach Ostberlin
und da triffst du ein ganz heißes Mädchen,
so ein ganz heißes Mädchen aus Pankow.
Und du findest sie sehr bedeutend
und sie dich auch.
    Aber die beiden, die sich so «bedeutend» finden, müssen sich am selben Abend wieder trennen, weil der Westdeutsche nur einen «Tagesschein» hat, der ihm keinen längeren Besuch erlaubt, andernfalls «Nervereien» zu befürchten sind. Am Ende äußert das lyrische Ich die Hoffnung, dass «die Jungs»–gemeint sind die politisch Verantwortlichen–«das nun bald in Ordnung bringen», schließlich wolle man «doch einfach nur zusammen sein». Es dauerte dann noch sechzehn Jahre, bis die Angelegenheit in Ordnung gebracht wurde, sich Lindenbergs einsame Wortmeldung als prophetisch erwies.

4. Postmoderne Öffnungen in den Achtzigerjahren
Vom «Parfum» bis «Momo»
    Als 1985
Patrick Süskinds
(*1949) Roman «Das Parfum» erschien, handelte es sich um einen neuen literarischen Typus in der Geschichte der Bundesrepublik. Wer anfängt zu lesen, wundert sich, denn der Erzähler stellt die Hauptfigur, Jean-Baptiste Grenouille, so vor: «Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehört. Seine Geschichte soll hier erzählt werden.» Der Erzähler nimmt sofort moralische Urteile vor, wenn er Grenouille «Selbstüberhebung, Menschenverachtung, Immoralität», ja sogar «Gottlosigkeit» attestiert, als sei der Glaube an Gott als allgemeine Norm bei seinen Lesern vorauszusetzen. Der Anfang des zweiten Absatzes lautet: «Zu der Zeit, von der wir reden, herrschte in den Städten ein für uns moderne Menschen kaum vorstellbarer Gestank.»
    Hier wird so getan, als hätte es alle erzähltechnischen Neuerungen des 20. Jahrhunderts nicht gegeben. Es spricht ein außenstehender Erzähler, der eine uneingeschränkte Weltsicht besitzt, nicht nur das Leben seines Helden überblickt, sondern auch die Stadt Paris und das 18. Jahrhundert aus der Vogelperspektive betrachtet, der von einem selbstverständlich gültigen moralischen Konsens ausgeht, auch noch den ‹pluralis majestatis› benutzt («wir») und seine versammelten Leser anspricht, um sie in den Raum der Erzählung hineinzuführen.
    Nun geschieht diese Rückwendung zu scheinbar längst überholten Formen des Erzählens nicht naiv, sondern spielerisch-bewusst. Ebenso wird man «Das Parfum» nicht einfach der Unterhaltungsliteratur zuordnen können. Zwar liest sich «Die Geschichte eines Mörders», so der Untertitel, spannend und lustvoll, und die Zahl der verkauften Bücher wird mit etwa15 Millionen angegeben. Doch gleichzeitig thematisiert der Roman Weichenstellungen des Aufklärungsjahrhunderts für die Moderne, spielt auf den Typus des charismatischen Politikers an, liefert reichhaltige Informationen zur französischen Geschichte des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich um einen historischen Roman, um eine Gattung, die man aus dem Bereich der ernsthaften und anspruchsvollen Literatur ausgeschlossen glaubte und die mit Süskind rehabilitiert wird.
    «Das Parfum» verweigert sich somit Erwartungen, die lange Zeit an die moderne Literatur gerichtet waren. Es ist schon erläutert worden, dass sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren eine Mehrheitsposition herausbildete, die eine Verbindung von Avantgarde und Realismus betrieb: Literatur blieb mimetisch (nachahmend) und behielt die Kompetenz einer umfassenden Weltdeutung. Gleichzeitig integrierte man Verfahren, die eine fragmentierte Gesellschaft darstellbar machten, Selbstzweifel des Erzählers ausdrückten, das Nebeneinander vieler Perspektiven und Sprachen vorführten. Diese Errungenschaften ignoriert Süskind, der ohne Montagen oder innere Monologe, ohne Wahrnehmungs- und Sprachexperimente auskommt. Dem entspricht eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der modernen Kunst im «Parfum». Diese kann geführt werden, weil Grenouille in jener Zeit lebt, in der sich deren Leitvorstellungen durchsetzen. Denn im 18. Jahrhundert entstand jene Poetik, also jene Lehre von den Prinzipien der Kunstproduktion, die bis ins späte 20. Jahrhundert gültig blieb und die auch für die genannten erzähltechnischen Innovationen verantwortlich war.
    Das Geruchsgenie Grenouille, das von der Herstellung perfekter Düfte träumt, geht bei einem älteren Parfumeur in die Lehre. Hier kommt es zu einer höchst aufschlussreichen Szene, in der Grenouille

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