Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
bemalten; von einer kompletten Blaskapelle; von einem mittelalterlichen Katapult, das uralte kaputte Klaviere verschoss, während die Zuschauer in Erwartung des finalen Klangs, mit dem jedes Klavier auf dem harten Wüstenboden zerschellte, den Atem anhielten.
»Es ist einfach unglaublich!« Sie sprang mehrmals aufgeregt hoch, sodass ihre Patronengurte klimperten.
»Ich weiß. Und wenn ich daran denke, dass wir’s fast nicht hierher geschafft hätten … «
Ich hatte immer schon auf dieses Festival gewollt – immerhin komme ich wie die meisten Teilnehmer aus San Francisco. Es hatte aber auch eine Menge Arbeit gekostet. Erst einmal reden wir hier von einem Camping-Trip mitten in die Wüste, für den man absolut alles einpacken muss, auch das Wasser. Dann muss man auch alles wieder mitnehmen – alles, was nicht auf dem Dixiklo bleibt, und es gab sehr strenge Regeln, was da reindurfte und was nicht. Dann war da die Geschenkökonomie: Ich musste mir also überlegen, was die Leute in der Wüste brauchen könnten. Dazu die Frage der Kostümierung, und was ich an coolen Kunstwerken oder Erfindungen beizusteuern hätte … Jedes Mal, wenn ich anfing, darüber nachzudenken, bekam ich fast einen Nervenzusammenbruch.
Doch ausgerechnet dieses Jahr hatte ich es geschafft, im selben Jahr, in dem meine Eltern ihre Jobs verloren. Es war das Jahr, in dem ich das Studium lieber abbrach, als mich dafür noch schlimmer zu verschulden. Das Jahr, in dem ich Klinken putzen ging, um Arbeit zu finden – ganz egalwas, Hauptsache bezahlt – , doch vergebens.
»Man sollte nie die Entschlossenheit junger Leute unterschätzen, die knapp bei Kasse und reich an Zeit sind«, sinnierte Ange. Dann nahm sie sich mit einer Hand die Maske ab und zog mich mit der anderen näher heran, um mich zu küssen.
»Du solltest T-S hirts drucken, mit Sprüchen wie dem.«
»Jetzt, wo du’s sagst, fällt mir was ein. Schau her!«
Sie öffnete ihren Umhang und enthüllte stolz ein rotes Shirt mit der Aufschrift MACH WAS SCHÖNES UND ZÜNDE ES AN . Das Layout war ähnlich wie bei den alten » KEEP CALM AND CARRY ON «-Postern aus England, bloß mit dem Burning Man statt der Krone.
»Kommt gerade noch rechtzeitig«, sagte ich und hielt mir die Nase zu. Ich sagte es nur halb im Scherz – kurz vor knapp hatten wir die Hälfte unserer Klamotten wieder ausgepackt, um mehr Platz für Geheimprojekt X-1 in unseren Rucksäcken zu schaffen. Und da wir bei unserer täglichen Katzenwäsche der Schweißkruste, Farbe und Sonnencreme mit nicht viel mehr als feuchten Tüchern zu Leibe rückten, rochen wir beide nicht mehr besonders.
Sie zuckte nur die Achseln. »Die Wüste sorgt für uns alle.« Dieses Motto des Festivals hatten wir gleich am ersten Tag aufgeschnappt. Beide hatten wir uns darauf verlassen, dass der jeweils andere an die Sonnencreme gedacht hatte. Kurz bevor wir uns so richtig stritten, verschlug es uns ins Sonnencreme-Camp, dessen nette Bewohner uns von Kopf bis Fuß mit Lichtschutzfaktor 50 einschmierten und uns noch etwas Creme mit auf den Weg gaben. »Die Wüste sorgt für uns alle!«, sagten sie zum Abschied und wünschten uns alles Gute.
Als ich Ange den Arm um die Schultern legte, schnüffelte sie übertrieben an meiner Achsel und setzte daraufhin demonstrativ die Maske auf.
»Los«, sagte sie, »gehen wir zum Tempel.«
Der Tempel war ein zweistöckiges, ausladendes Gebäude, das mit hohen Türmen und Strebebögen gespickt war. Sein Inneres war voller tibetanischer Gongs, die maschinengesteuert den ganzen Tag lang ihre seltsamen, scheppernden Töne von sich gaben. Ich hatte den Tempel früh am Morgen von Weitem gesehen, als ich durch die Ebene spazierte und die Sonne den Staub in rostig-orangefarbenes Licht tauchte. Aber ich war bislang noch nicht drin gewesen.
Die äußeren Flügel waren nicht überdacht und bestanden aus demselben Bauholz wie der Rest des schnörkeligen Baus. An den Wänden gab es Bänke und zahlreiche Nischen und Winkel. Und alle Oberflächen waren komplett mit Postern, Bildern, Symbolen und Schrift überzogen.
Fast alles davon handelte von Toten.
»Oh Mann«, sagte Ange, als wir die Wände abliefen und all die hingemalten und festgetackerten Gedenksprüche lasen. Ich fand einen handgeschriebenen, dreißig Seiten langen Brief einer Frau an ihre toten Eltern, in dem sie schrieb, wie ihre Eltern sie verletzt und ihr Leben zerstört hatten und dank ihres verkorksenden Einflusses ihre Ehen eine nach der anderen zu Bruch
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