Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
treffen wir uns also wieder.«
Sie griff nach meiner Hand, und mir fiel ein, wie sie mir bei unserer letzten Begegnung das Gelenk mit einem Kampfsportgriff verdreht hatte. Ich glaubte aber nicht, dass sie es schaffen würde, mir einfach den Arm auf den Rücken zu drehen und mich still und heimlich hier rauszuschaffen. Wenn ich um Hilfe schrie, würden all diese Menschen … Na ja, sie würden Masha wohl nicht gerade in Stücke reißen, aber irgendwas würden sie schon machen. Entführungen verstießen eindeutig gegen die Regeln beim Burning Man. Ich war mir sogar ziemlich sicher, dass es eine der wichtigsten war.
Doch Masha zog mich einfach nur an der Hand. »Na los«, sagte sie. »Komm schon.«
Ich stand auf und folgte ihr aus freien Stücken, und obwohl ich vor lauter Angst zitterte, war es irgendwie auch aufregend. Wahrscheinlich, weil es hier, beim Burning Man, geschah.
Vor ein paar Jahren noch hatte ich mehr Aufregung gehabt, als mir lieb gewesen war. Ich hatte einen virtuellen Guerillakrieg gegen das Department of Homeland Security angeführt, ein Mädchen kennengelernt und mich verliebt, war verhaftet und gefoltert worden, hatte eine gewisse Berühmtheit erlangt und die Regierung verklagt. Seitdem war es irgendwie bergab gegangen. Das Waterboarding war schrecklich, unvorstellbar schlimm gewesen – ich hatte immer noch Albträume vom Ertrinken – , aber das war nun mal passiert und vorbei . Dann kamen der langsame Bankrott meiner Eltern, der harte Alltag einer Stadt, in der es keine Jobs gab, schon gar nicht für einen halbqualifizierten Studienabbrecher wie mich, und der Kredit, den ich monatlich zurückzahlen musste, ob ich wollte oder nicht. Das war das Elend, mit dem ich jeden Tag zu kämpfen hatte. Und es sah nicht so aus, als ob sich daran irgendwas ändern würde. Nicht gerade die Art von dramatischem Konflikt, aus dem Heldengeschichten entstehen. Es war einfach nur, na ja, die Realität. Und die Realität war einfach nur scheiße.
Also ging ich mit, denn Masha hatte fast zwei Jahre mit Zeb im Untergrund zugebracht, und bei allem Schlechten, was man über sie sagen mochte, hatte sie auf jeden Fall eine Menge Staub aufgewirbelt. Vielleicht war die Geschichte ihres Lebens ja genauso scheiße wie meine, aber sie war in großen, bunten Neonlettern geschrieben, nicht in der unleserlichen Schrift eines Teenagers, der verzweifelt in sein Tagebuch kritzelt.
Sie führte mich aus dem Tempel. Der Wind blies stärker als zuvor, und der Staub nahm einem die Sicht wie ein Schneesturm. Ich zog mir wieder Burnus und Schutzbrille vors Gesicht, doch selbst so konnte ich kaum was erkennen, und jeder Atemzug hinterließ den Geschmack von Gips und zähem Speichel auf der Zunge. Mashas Haar war nicht mehr grellrosa, sondern ein undefinierbares Aschblond, d as we gen des Staubs fast mausgrau wirkte, und ziemlich fransig – die Sorte Haarschnitt, die man auch mit einer Gartensche re h inbekommt. Während der Pubertät hatte ich auch oft so eine Frisur gehabt. Mashas Schädelknochen wirkten sehr fein und zerbrechlich, die Haut spannte sich wie Pergament über die Wangenknochen. Ihre Nacken- und Kiefermuskeln waren angespannt. Sie hatte abgenommen, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, und ihr Teint war deutlich dunkler, dunkel wie eine Lederhaut. Das war keine normale Sommerbräune.
Wir waren kaum zehn Schritte gegangen, doch es hätte ebenso gut eine Meile sein können. Der Tempel war im Staub nicht mehr zu erkennen. Ringsum waren Stimmen zu hören, doch ich konnte die Worte über das unheimliche Geheul des Windes hinweg, der durch die Fenster des Tempels fegte, nicht verstehen. Winzige Staubkörnchen legten sich zwischen die Brillengläser und meine verschwitzte Haut und reizten mir Augen und Nase.
»Das ist weit genug«, sagte sie schließlich und ließ mich los. Mein Blick fiel auf die verunstalteten, gekrümmten Fingerspitzen ihrer linken Hand. Ich erinnerte mich noch lebhaft daran, wie ich, um Masha zu entkommen, ihre Finger in der Rolltür eines Umzugswagens eingequetscht hatte. Damals war ich mit Beweisen dafür, dass mein bester Freund Darryl von der Heimatschutzbehörde gefangen gehalten wurde, auf der Flucht gewesen. Masha hatte mich seinerzeit mehr oder weniger zu entführen versucht. Ich hatte nicht vergessen, wie verblüfft sie aufgeschrien hatte, als die Tür ihre Hand zermalmte.
Als ihr klar wurde, was mir durch den Kopf ging, verbarg sie die Hand im Ärmel ihres weiten Baumwollhemds.
»Wie
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