Live Fast, Play Dirty, Get Naked
Uhr im Lagerhaus zu treffen, sodass wir genug Zeit hatten, unseren ganzen Kram einzuladen und quer durch London zu den BBC-Studios am Lime Grove zu fahren.
»Wenn wir da sind«, hatte Jake erklärt, »bekommt ihr eine Zeit zugeteilt, um euer Equipment aufzubauen und den Song noch mal durchzuspielen, danach holen sie euch, wenn sie so weit sind, zur eigentlichen Aufnahme.«
»Aber das läuft alles per Playback, oder?«, fragte Curtis.
»Klar.«
»Es ist nichts live.«
Jake schüttelte den Kopf. »Ihr müsst bloß im richtigen Moment die Lippen bewegen und zusehen, dass ihr gut rüberkommt.«
Als ich so gegen Viertel vor zwei ins Lagerhaus kam, waren Curtis und Jake schon da und auch Chief und Stan kamen in den nächsten fünf Minuten mit dem Lieferwagen. Während wir unsere Sachen einluden, ertappte ich mich, wie ich ständig die Straße entlangsah und nach William Ausschau hielt. Ich hatte gar keinen Grund, besorgt zu sein – er war bisher noch gar nicht zu spät dran –, aber irgendwas war … ich wusste nicht, was … irgendwas schien nicht zu stimmen. Eswar so ein Gefühl, wie wenn du auf jemanden wartest und dir vorstellst , er kommt – denn irgendwo in deinem tiefsten Unterbewusstsein glaubst du ganz fest, dass du ihn allein durch deine Vorstellungskraft herzaubern kannst –, und manchmal weißt du einfach, dass er gleich da sein wird, aber an andern Tagen, da weißt du eben, dass er nicht kommen wird, egal wie sehr du es dir vorstellst …
Und so war es für mich an dem Tag.
Ich wusste es einfach.
Tief in meinem Innern …
Wusste ich es.
Aber ich war nicht bereit, es zuzugeben. Weder vor mir noch vor jemand anderem.
»Ich hoffe, er kreuzt bald auf«, sagte Curtis zu mir, während er einen Verstärker in den Lieferwagen hob.
»Er wird kommen, mach dir keine Sorgen.«
»Ich mach mir aber Sorgen.«
»Lass es.«
Zwanzig Minuten später, als der Wagen beladen und immer noch nichts von William zu sehen war, hatte Curtis die Schnauze voll.
»Und?«, fragte er mich.
»Und was?«
»Wo ist er?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Scheiße noch mal, er ist dein Freund, Lili.«
»Deshalb gehört er mir aber nicht.«
»Vielleicht sollte er das besser.«
»Jetzt gib ihm noch fünf Minuten, okay? Ich bin sicher, er kommt gleich.«
»Nein.«
»Ach komm, Curtis.«
»Ich hab’s ihm gesagt: Wenn er noch einen Auftritt verpasst, egal wieso, fliegt er raus.«
»Ja, aber –«
»Wir müssen los«, sagte er und schaute auf seine Uhr.
»Okay, aber dann lass uns auf dem Weg schnell bei ihm zu Hause vorbeifahren.«
»Nein.«
»Ist auch nicht weit.«
»Ich hab Nein gesagt.«
»Aber was ist, wenn er krank ist oder so?«
»Wenn er sich nicht aufraffen kann herzukommen, dann taugt er nicht für uns, kapiert? Abgesehen davon brauchen wir ihn eigentlich gar nicht. Wir spielen ja nur Playback. Und das schaffen wir auch ohne ihn.«
»Aber vielleicht braucht er uns . Ich meine, vielleicht hat er ja unterwegs einen Unfall gehabt, vielleicht hat ihn ein Auto angefahren –«
»Ja, und vielleicht ist er einfach nur ein großes Arschloch. Hast du daran schon mal gedacht?«
Ich sah Curtis an und suchte nach einer Antwort, doch mein Kopf und mein Herz waren leer.
»Mach schon«, sagte er müde. »Steig ein. Wir fahren.«
Ich glaubte nicht wirklich daran, dass William krank war oder einen Unfall hatte, ich dachte einfach nur … nun ja, das war es eben. Ich wusste nicht recht, was ich denken sollte. Ich überlegte, ob er mich am Tag zuvor vielleicht angelogen hatte und sich doch Sorgen machte, er könnte bei Top of the Pops erkannt werden – vielleicht hatte er von vornherein gar nicht auftreten wollen. Oder er hatte einfachnoch mal in Ruhe drüber nachgedacht und das Risiko zu groß gefunden.
Ich wollte nicht glauben, dass er mich angelogen hatte.
Wenn er nämlich in dem Punkt gelogen hatte, dann konnte auch alles andere eine Lüge sein – das Witzemachen, unsere Späße, seine ganze ernsthafte Art … alles unwahr.
Nein … ich konnte das einfach nicht glauben.
Ich glaubte es nicht.
Und wenn er noch mal drüber nachgedacht hatte … dann hätte er es mir doch erzählt, oder? Dann hätte er es mir doch gesagt …
Oder?
Außerdem hatte er beim letzten Mal, als ich ihn sah – als wir am Tag zuvor das Lagerhaus zusammen verließen –, nicht einmal ansatzweise unschlüssig gewirkt. Ich sah ihn noch vor mir, wie er mit mir zur U-Bahn-Station ging, mich anlächelte, küsste und sich verabschiedete …
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