Live Fast, Play Dirty, Get Naked
ich sagen? Gar nichts konnte ich ihm sagen. Niemandem konnte ich etwas sagen. Ich konnte überhaupt nichts tun …
»Lili?«
Nichts …
Ich sah Curtis an.
»Was ist denn?«, sagte Curtis leise. »Was ist los?«
Ich sah ihn bloß an und fühlte mich vollkommen hilflos.
Dann kam Jake plötzlich reingerauscht, total panisch undaufgelöst. »Scheiße, da seid ihr … los, kommt! Die Aufzeichnung fängt an, die warten da draußen auf euch. Verdammt , was macht ihr denn hier? Jetzt kommt … «
Curtis wurde nicht nervös, er sah mich nur an und sagte: »Bist du okay, Lili? Geht das für dich?«
Ich nickte, nicht sicher, was ich eigentlich tat. Als Nächstes merkte ich, wie ich Curtis den Gang entlang und dann durch zwei Türen ins Studio hinein folgte, und sehr vage erinnere ich mich noch, dass mich auf einmal die Scheinwerfer blendeten, als ich über die Bühne ging und meinen Bass nahm …
Doch an alles andere …
Kann ich mich nicht erinnern.
Ich war in Trance, ich war weg, irgendwo anders.
Ich war überhaupt nicht da.
Das Nächste, was ich noch einigermaßen klar weiß, ist, wie ich hinten in einem Taxi sitze, aus dem Fenster starre und mir einzureden versuche, dass mit William vielleicht doch alles in Ordnung ist. Vielleicht war er ja gar nicht da, als die Bombe hochging, vielleicht hatte er gar nichts damit zu tun … vielleicht waren ja nur die drei IRA-Leute in der Werkstatt gewesen … vielleicht war er ja gesund und munter, wenn ich nach Cranleigh Farm kam … und er würde mir erklären, was passiert war, und ich würde so tun, als wäre ich sauer, dass er mir solche Angst eingejagt hatte … und dann würde er sagen, wie leid es ihm tut, und mich mit seinen Haselnussaugen ansehen … und mir dieses wunderbare Lächeln schenken … und alles wäre wieder gut …
»Ich muss die Seven Sisters entlangfahren, okay?«, rief der Taxifahrer über die Schulter.
»Wie bitte?«
»Oben an der Green Lanes ist alles gesperrt wegen der Bombe, deshalb muss ich über die Seven Sisters fahren. Ist aber nicht sehr viel weiter.«
»Natürlich«, sagte ich. »In Ordnung …« Ich beugte mich vor und sprach durch die Luke. »Gibt es was Neues wegen der Bombe?«
»War wohl die IRA, glauben sie. Ist wahrscheinlich aus Versehen losgegangen.« Er schüttelte den Kopf. »Scheiß Iren.«
»Weiß man schon, ob es Tote gab?«
»Die Polizei lässt noch nichts raus, aber ich hab gehört, es sollen drei sein, vielleicht auch vier.«
»Drei oder vier Tote?«
Er nickte. »Sie glauben, die Bombe befand sich in einem Wagen in der Werkstatt und ist mit den Attentätern hochgegangen. Geschieht ihnen verdammt recht, wenn Sie mich fragen.«
Ich lehnte mich zurück und starrte wieder aus dem Fenster, auf einmal ganz sicher, dass mit William nichts in Ordnung war. Er war dort gewesen, als die Bombe explodierte … er war mit den drei IRA-Leuten zusammen in der Werkstatt gewesen … und wenn ich nach Cranleigh Farm kam, würde ich ihn nicht gesund und munter in der Wohnung finden …
Ich würde nicht seine Haselnussaugen sehen.
Ich würde nicht dieses wunderbare Lächeln sehen.
Und nichts würde je wieder gut sein …
Und als Nächstes erinnere ich, wie ich mir sagte: Sei doch nicht albern … nur weil ein Taxifahrer dir sagt, er hätte irgendwas gehört … er hätte gehört , es wären »drei, vielleicht auch vier« gewesen … das heißt doch nichts.
Das heißt doch nichts.
Er weiß überhaupt nichts.
Und du auch nicht.
Dann denk nicht mal dran, jetzt schon aufzugeben.
Denk überhaupt nichts …
… ich will nicht, dass noch jemand stirbt … ich werde nicht zulassen, dass das passiert …
Glaub einfach nur.
37
Es muss so gegen neun gewesen sein, als ich an Williams Wohnungstür klopfte. Ich hatte schon im Aufzug angefangen zu weinen, doch als Nancy die Tür öffnete, verlor ich völlig die Kontrolle. Die Tränen strömten mir nur so übers Gesicht.
»Lili!«, sagte Nancy und rang nach Luft. »Um Himmels willen, was ist denn passiert?«
»Ist er hier?«, schluchzte ich.
»William? Nein … ich dachte, er wär bei dir.«
Da brach ich endgültig zusammen und heulte und schluchzte so schrecklich, dass Nancy mich nur in die Wohnung ziehen und festhalten konnte, mich weinen ließ, mich flennen ließ, mich alles herausschluchzen ließ … bis die Tränen langsam versiegten, ich nicht mehr nach Atem rang und meine Stimme allmählich wieder zurückkehrte.
»Die Bombe …«, murmelte ich. »Die Bombe …«
»Ist gut«,
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