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Titel: Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein Thriller
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er.
     
    Er sah, wie sich die Reporterin von MSNBC sich nur einige Meter weiter um einen der verletzten Polizisten kümmerte und den Mann hielt, so lange, bis einer der Sanitäter kam, den Verband ansah und ihr zunickte. Ihre Bluse war vollkommen mit Blut beschmiert, ebenso ihr Gesicht und ihre Hände. Nicht ihr eigenes Blut. Sie sah aus, als wäre sie kurz davor, den Verstand zu verlieren.
     
    Da war sie nicht die einzige. Joe ging zu ihr rüber und legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie zitterte und versuchte, das Blut von ihren Händen abzuwischen.
     
    Einige der Krankenwagen fuhren mit Blaulicht davon. Ihre Sirenen setzten heulend ein, als sie aus der Straße herausfuhren und in den normalen New Yorker Morgenverkehr kamen.
     
    Susan Miller holte sich mit ihren blutverschmierten Fingern eine Schachtel Camel aus der Hosentasche zerknüllt, die Zigaretten drinnen noch kaum brauchbar. Eine klemmte sie sich zwischen die Finger, suchte verzweifelt nach einem Feuerzeug. Sie fand keines. Dann warf sie die Zigarette weg und begann zu weinen.
     
    „Es ist okay“, meinte Joe, „es ist vorbei.“
     
    Aber da log er.
     
    Es war noch nicht vorbei.
     
    Noch lange nicht.
     
     
     
    04:20
     
    Später würde Julie Winters bei Barbara Walters und ihren vier anderen professionellen Verstehern der Sendung The View sitzen und immer noch ängstlich zittern, wenn sie zurück an diese Nacht dachte.
     
    Manchmal würde sie nachts schreiend aufwachen, weil sie Turow Gesicht gesehen hatte, in einem der Träume, die nicht verschwanden, wenn man aufwachte, sondern die immer mehr an Wirklichkeit gewannen, schärfer wurden und  Minuten nach dem Erwachen zur richtigen Erinnerung wurden. Wie ein altes Polaroidfoto, das sich entwickeln mußte, zur vollständigen Schärfe, bevor man es ansehen konnte.
     
    „Sie haben kaum etwas gesehen…in den Minuten, als Captain Sawyer das Harper‘s stürmte?“ würde Barbara Walters fragen.
     
    „Ich war kaum bei Bewußtsein und das Tränengas…wir haben alle kaum etwas gesehen. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, wie Sawyer gestorben ist. Ich meine, ich habe später die Zeitungsartikel gelesen, aber gesehen?  Nein. Da waren die Schüsse und die Schreie und…ich weiß es einfach nicht mehr.“
     
    „Was ist das erste, an das Sie sich wieder erinnern können, Julie?“
     
    „Turows Stimme“, würde Julie antworten.
     
    Julie Winters hustete und fragte sich, ob sie wohl jemals in der Lage sein würde, wieder normal zu schlucken.
     
    „Mrs. Winters“, meinte jemand. „Ich hoffe, Sie sind wach.“
     
    Nein , dachte Julie, ich bin nicht wach, ich will nicht wach sein.
     
    „Würden Sie bitte ihre Augen öffnen?“
     
    Die Bitte wurde von einer Ohrfeige begleitet. Julie machte die Augen auf. Über ihr stand Turow.
     
    „Ich sehe nicht allzu gut aus, fürchte ich“, sagte er, unterbrach sich dann aber und hielt sich den Magen. Sein Husten hörte sich schlimmer an als ihr eigener.
     
    Julie schob sich einige Zentimeter zurück, bis sie hinter sich den regungslosen Körper Charlie Fosters spürte.
     
    Turows Husten hörte so abrupt auf wie er angefangen hatte. Die Hand verschwand vor seinem Mund. Er hatte erbrochen. Halb geronnenes Blut war auf der offenen Handfläche.
     
    „Könnte sein, daß ich heute doch noch eine Krankenschwester brauche.“
     
    Sie brauchen einen Irrenarzt und eine gute Zwangsjacke, mein Freund , dachte Julie, aber bestimmt keine Krankenschwester.
     
    Sie sagte nichts, sondern erhob sich schwankend. In ihrem Gehirn explodierte etwas, das Gefühl von Übelkeit kehrte zurück und sie sank auf die Knie, die Hand instinktiv ausgestreckt, um sich bei Turow abzustützen.
     
    „Sie haben einen bösen Riß an Ihrer Stirn“, sagte Julie, als sie einen zweiten, professionellen Blick auf den Geiselnehmer warf. „Das müßte eigentlich genäht werden.“
     
    „Ja.“
     
    Julie sah an ihm vorbei auf die Leichen, die im Chaos des Harper‘s überall lagen. Da war Birgit Keller, unter deren regungslosem Körper sich eine dickliche, rot-schwarze Lache gebildet hatte und die mit starren Augen ihren Blick erwiderte.
     
    Da war Peter Davenport. Da waren noch zwei andere Leichen, andere Geiseln, aber Julie konnte sich nicht mehr an die Namen erinnern. Später würde sie wieder wissen, wer es gewesen war. Die Namen würden in jeder Nachrichtensendung sein, zusammen mit Fotos aus ihren Facebook Profilen. Sie würde die Namen ihr Leben lang nicht mehr vergessen

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