Live
anderes hätten hindeuten können. Die Straße war naß, es war nachts gewesen, Sean hatte vielleicht für einen Moment nicht aufgepaßt, und…“
Vanessa Kesel unterbrach sich erneut. Sie weinte nicht. Sie hatte sich soweit unter Kontrolle.
„… kann ich einen Moment haben?“
„Natürlich“, sagte die Susan Miller auf dem Band. Vor den beiden Monitoren schauten sich Claire und Susan an, während auf dem Band die Stille länger wurde.
„Bist du dir sicher, Susie?“ fragte Claire.
„Ich bin mir sicher.“
„So sicher, daß du deinen Job riskieren würdest?“
„Ich riskiere meinen Job jeden Tag, Claire.“
„Nein, du riskierst diesen Job jeden Tag, Susie.“
„Was meinst du damit?“
„Wenn wir hiermit rausgehen“, sagte Claire. „Wenn wir das auf den Sender bringen, und auch nur ein kleines Detail daran nicht stimmt, dann kannst du deinen Job vergessen. Jeden Job. Nicht nur bei MSNBC. Dich wird kein Sender mehr anfassen. Das ist es, was hier auf dem Spiel steht, Susie.“
„Sprechen wir hier wirklich über mich, Claire?“
Neunzehn Tage später
„Sprechen wir über Ihren Mann.“
Vanessa Kesel saß im Today Studio der NBC am Rockefeller Center und blinzelte in die hellen Scheinwerfer. Es war acht Uhr morgens, das erste große Segment des Morgenfernsehens, das sich nicht mit Prominenten oder dem Präsidenten und seinen Kampf gegen die Staatsverschuldung befaßte.
Sie hatten es mit einem Einspielfilm beginnen müssen, um den Zuschauer daran zu erinnern, wer diese fragile Frau überhaupt war.
Es waren die Highlights aus dem Harper’s gewesen. Sie hatten geendet mit Vanessa Kesels Schreie, klar und dennoch nur ein Echo vom Band, bevor Donald Turow starb…
„Es sind die verdammten Pillen!“
… bevor die Kameras im Studio live gingen, sie und NBCs Star-Moderator Matt Lauer umkreiste, während er neben ihr auf dem Interviewsofa saß, die Fragen auf blauen Karteikarten aufgeschrieben, mögliche Zusatzinformationen, die ihm über seinem Knopf im Ohr aus der Regie eingeflüstert werden konnten.
„Donald war ein guter Mann“, sagte Vanessa. „Ich weiß, das will keiner hören, und ich entschuldige mich für den Schmerz und das Leiden, das geschehen ist.“
„Aber Sie sind sich sicher, daß er dafür nicht verantwortlich ist, oder?“ fragte Matt Lauer.
Er war ganz guter Gastgeber, hatte zwei Jahrzehnte Erfahrung mit normalen Menschen und Promis, wußte, wann er höflich sein mußte, wann er zupacken konnte.
„Ja.“
„Es sind die Pillen, das waren Ihre Worte“, sagte Matt Lauer.
„Ja.“
„Was für Pillen, wenn ich fragen darf?“
„Donald hatte Verschreibungen für Prozac und Ritalin bekommen. Das war…“
„… nachdem ihr Sohn Sean gestorben ist, richtig?“
„Ja.“
In Matt Lauers Ohr war die Stimme Claire Weizaks, die aus der Regie kam. Der Zuschauer sah nichts, hörte nicht die Informationen, die er von ihr bekam, aber er nickte beinahe unmerklich.
„Der ebenfalls Prozac verschrieben bekommen hatte.“
„Ja.“
„Und sie meinen, daß dies zu einer…“
Lauer unterbrach sich, schaute auf eine Karteikarte, obwohl er genau wußte, was er sagen wollte, ließ den Zuschauer glauben, daß er so professionell war, das Argument, die Information erst lesen zu müssen, um ganz sicher zu sein.
„… zu einer Persönlichkeitsveränderung führte?“
„Ich weiß, daß dem so war.“
„Etwas, was die Gesundheitsbehörde abstreitet.“
„Ich kann mich nicht erinnern, daß die Gesundheitsbehörde mit meinem Mann verheiratet gewesen ist, Mr. Lauer.“
„Die Gesundheitsbehörde hat aber mehrere Studien durchgeführt, die belegten…“
„Haben Sie die Studien gelesen, Mr. Lauer?“
„Nun, nein, aber…“
„Woher wollen Sie dann wissen, was in diesen Studien herausgefunden wurde? Und selbst, wenn Sie die Studien gelesen hätten, hätten Sie diese auch verstanden?“
In der Regie sah sich Susan Miller die verschiedenen Monitore an. Sie war nur Gast hier, war nur eingeladen worden, weil sie diese Story hierher gebracht hatte, nicht mehr. Susan sah sich an, wie Vanessa Kesel den Star-Moderator argumentativ in die Ecke drückte.
„Glauben Sie nicht, daß jeder Mensch für seine Handlungen selber verantwortlich sein sollte?“ fragte Matt Lauer. „Und es war Ihr Mann,
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