Liz Balfour
Meer hinab. Wenn die Sonne schien, war das Wasser smaragdgrün wie das irische Gras.
Meine Mutter hatte um das von wildem Wein bewachsene Steinhaus herum einen Garten angelegt, der trotz des grauen Wetters mit satten Farben prahlte: Fackellilien, Pfingstrosen, Klatschmohn, Palmen, es war ein wildes und zugleich faszinierendes Durcheinander. Als Kind hätte es für mich keinen schöneren Ort auf der Welt geben können als unseren kleinen Garten, und wenn ich daran zurückdachte, schien natürlich immer die Sonne. Sieben Jahre war es her, dass ich Emerald Cottage zuletzt gesehen hatte, und auch jetzt durchzuckte mich die Erinnerung. Ich sah das Cottage für eine Sekunde in leuchtenden Sommerfarben vor mir … Dann waren Himmel und Straße wieder grau und nass.
Im Küchenfenster brannte Licht. Ich ging zur Haustür und klopfte lange und kräftig. Es dauerte eine gute Minute, bis meine Mutter endlich öffnete. Sie lächelte wie immer merkwürdig abwesend, und ich lächelte zurück. Beide standen wir da und wussten nicht, ob wir uns umarmen sollten. Sie streckte endlich die Hand aus, damit ich sie zur Begrüßung schütteln konnte. Ich nahm sie.
»Guten Tag, Deirdre. Wie geht es dir? Tut mir leid, dass ich dich nicht umarmen kann«, redete ich uns beide aus unserer Hilflosigkeit. »Ich bin so nass und dreckig, weil ich ausgerutscht bin. Soll ich die Schuhe ausziehen? Hier, magst du meinen Mantel nehmen und ihn vielleicht schon mal zum Trocknen aufhängen?« So plapperte ich daher, gab ihr etwas zu tun, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die praktischen Dinge, damit sie nicht merkte, wie unsicher ich mich fühlte. Es war mir alles so fremd geworden: das Haus, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte, nicht aber meine Jugend. Der kleine Ort, den ich vor über zwanzig Jahren gegen eine Millionenmetropole als neue Heimat hatte tauschen müssen. Das Land, in dem alle Hinweisschilder zwei Sprachen führten – eine, die ich kannte, aber anders aussprach, und eine, die ich nicht einmal lesen konnte. Und das, obwohl Irisch seit ein paar Jahren die offizielle erste Amtssprache war.
Meine Mutter bemerkte, dass ich mich nicht wohlfühlte.
»Ich weiß, dass du eigentlich keine Zeit hast«, sagte sie. »Danke, dass du trotzdem gekommen bist.«
Ich schüttelte das Wasser von meinen Stiefeln. »Es klang dringend«, sagte ich.
Meine Mutter nickte und lächelte ihr nervöses, abwesendes
Lächeln, das sie aller Welt entgegenbrachte. »Ich dachte, an einem Wochenende müsste es gehen.«
»Ich arbeite auch an den Wochenenden, so wie gestern«, erklärte ich. »Und wenn ich nicht arbeite, dann verabreden wir uns mit Freunden. So wie eigentlich heute Abend.« Ich merkte selbst, dass ich schon wieder kurz davor war, so zickig zu klingen wie eine Pubertierende.
Meine Mutter reagierte beleidigt, was ich ihr nicht verübeln konnte. »Du hättest ja nicht kommen müssen.« Ich schämte mich für meine Reaktion.
»Aber jetzt bin ich doch da, und es hat ja auch geklappt, zwei Tage mal nicht vor Ort sein zu müssen«, lenkte ich rasch ein. Ich schob mich an ihr vorbei, ging nach oben ins Bad und holte mir ein Handtuch. Deirdre kam nach, reichte mir ihren ausgeleierten Hausanzug und steckte meine Kleider in die Waschmaschine. Wir setzten uns an den schmalen, alten Küchentisch, an dem wir früher immer zu dritt gedrängt gesessen hatten. Ich wärmte mir an der ersten Tasse Tee des Tages meine Hände.
»Du hast einen neuen Kühlschrank«, sagte ich. »Edelstahl, sehr schick!«
»Ja, der alte hat endgültig seinen Geist aufgegeben. Dieser hier ist natürlich viel besser. Und größer. Und was der alles kann!«
»Irgendwann bauen sie welche, die einkaufen gehen und die Sachen dann auch noch selbst einräumen«, sagte ich mit einem Lächeln.
Sie lächelte zurück. »Wenn ich hier ausziehe, nehme ich ihn mit.«
Ich verstand nicht, was sie meinte. Ausziehen? Aus Emerald Cottage? Unmöglich. Hatte Deirdre gerade versucht,
einen Witz zu machen? Dass meine Mutter scherzte, war allerdings so selten wie ein nüchterner Ire am St. Patrick’s Day. Und ich verstand auch nicht recht, was daran witzig sein sollte. »Du ziehst hier nie aus. Und du wirst diesen Kühlschrank mit Sicherheit sogar noch überleben.«
Deirdre öffnete den Mund, schien es sich dann aber anders zu überlegen. Sie stand auf und ging zu der Anrichte, um den Teekessel auf den alten Gasherd zu stellen und die bunten Topflappen wegzuräumen.
»Wolltest du über etwas Bestimmtes mit
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