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Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Titel: Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul-Zsolnay-Verlag
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These lautet: Diese Arbeit wird immer weniger. Die zweite These, die dieser gegenübergestellt werden kann, lässt sich schlicht wie folgt formulieren: Wir alle arbeiten ohnehin immer mehr, auch jenseits unserer Erwerbsarbeit.
    Dass die Arbeit immer weniger wird, drückt sich vorab in den Statistiken zur Arbeitslosigkeit aus, die allerdings den Konjunkturzyklen folgen und selbst ein Indikator für Veränderung des Arbeitsbegriffes sind: Während bestimmte Formen von Arbeit überflüssig werden, sind andere zeitweilig zumindest immer knapp. Es ist dann auch vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit (im EU-Schnitt liegt sie bei knapp achtzehn Prozent), die durch Freiwilligentätigkeit entschärft werden soll. Generell muss man wohl davon ausgehen, dass dieser relativ hohe Grad an Arbeitslosigkeit nicht nur das Resultat einer falschen und unglücklichen oder zu langsamen oder von einer Verdrängung und Nichtwahrnehmung der Realität gekennzeichneten sozialen und ökonomischen Politik ist, sondern dass sich in der Tat dahinter ein Prozess verbirgt, der sich durch drei Faktoren ausdrücken lässt: rasant wachsende Produktivität; Technologisierung, Mechanisierung, Digitalisierung; und eine Internationalisierung und Globalisierung, die sich nicht zuletzt durch die Verfügbarkeit von ungeheuren Reserven billiger Arbeitskräfte am Weltmarkt bemerkbar macht. In diesem Sinn wird die Arbeit, vor allem die traditionelle Industriearbeit, in der Tat denkbar knapp. Und zur Zeit zumindest spricht viel dafür, dass Modelle der Neuorganisation von Arbeit und Arbeitsformen, die unter Stichworten wie Flexibilisierung der Arbeit, neues Unternehmertum, Teilzeit- und Telearbeit, Ausweitung des Dienstleistungssektors, Arbeit durch neue Technologien diskutiert und probiert werden, das Übel nicht wirklich an der Wurzel packen, das darin besteht, dass mit immer weniger menschlichem Arbeitsaufwand immer mehr Güter in immer kürzerer Zeit produziert werden können. Der Arbeitsgesellschaft geht in der Tat zumindest ein bestimmter Typus von bezahlter Arbeit aus. Freiwilligentätigkeit greift hier in zweierlei Hinsicht ein: Sie erlaubt zeitweilig arbeitslosen Menschen eine befriedigende Tätigkeit und verbessert ihre Qualifikationen. Sie garantiert aber auch notwendige Tätigkeiten in Bereichen, die zwar auch durch Erwerbsarbeit abgedeckt werden könnten, aber aus Kostengründen nicht werden: Und dies reicht von der Nachbarschaftshilfe über Betreuung und Organisation von Jugendlichen außerhalb der Schule bis hin zu Tätigkeiten im caritativen und medizinischen Bereich.
    Jetzt zur zweiten These: Alle arbeiten immer mehr. Die Arbeit wird tatsächlich immer mehr, weil sie selbst ein universeller Ausdruck für Lebenstätigkeit schlechthin geworden ist. Dazu einige Beispiele: Wer immer für seine Tätigkeiten Geld bekommt, auch wenn er nicht unmittelbar produktiv tätig ist, arbeitet selbstverständlich. Ob jemand als Politiker Menschen beherrscht – falls dies überhaupt noch als Aufgabe der Politik begriffen wird –, oder ob jemand als Künstler sich selbst verwirklicht, ob man als Philosoph mit seinen Interpretationen die Welt behelligt oder so nebenbei für ein kleines Entgelt das Heim seiner Freunde renoviert: Man arbeitet; aber auch wer unbezahlt tätig ist, wer zu Hause kocht und putzt, leistet selbstverständlich Hausarbeit; wer mit seinem Partner die Frage erörtert, ob als sexuelles Stimulans die erotische Literatur der Jahrhundertwende dem Video vorzuziehen sei, leistet Beziehungsarbeit; wer seine Kinder in Zeiten der Digitalisierung trotz allem noch zum Lesen animieren will, leistet, wenn auch wahrscheinlich vergeblich, Erziehungsarbeit; wer seine Großmutter, anstatt sie ins Altersheim abzuschieben, bei sich behält, leistet Betreuungsarbeit; wer, wie zahllose Manager, vom Stress seiner Tätigkeit in alpine Regionen flüchtet, um sich dort für den nächsten Stress fit zu machen, leistet natürlich für das Unternehmen wertvolle Regenerationsarbeit; wer in einer Psychotherapie seinen frühkindlichen Traumata auf der Spur ist, leistet Erinnerungsarbeit; wer sich ins Fitnessstudio begibt, geht zum Workout und leistet schweißtreibende Körperarbeit, und wer nur in den Urlaub fährt, leistet immerhin noch Erholungsarbeit mit entsprechendem Freizeitstress. Was immer wir tun, wir scheinen, bis in den Schlaf hinein, zu arbeiten. Oder anders gesagt: Erst wenn es uns gelingt, die unterschiedlichen Tätigkeiten des Lebens vor uns und vor den

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