Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft
Kampf dagegen. Prekär ist dies deshalb, weil die lärmende Maschine zu einem wesentlichen Merkmal der Industriekultur gehört, und der Herrschaftsanspruch dieser Kultur nicht zuletzt über den Lärm ihrer Maschinen vermittelt worden ist. Der Kampf gegen diesen Lärm steht so immer im Verdacht, damit auch gegen die Errungenschaften dieser Kultur zu sein: gegen Fortschritt, gegen Mobilität, gegen Wachstum, gegen Straßen, gegen Bahnhöfe, gegen alles. Natürlich kann man auch bei maschineninduziertem Lärm notwendigen von unnötigem unterscheiden. Wo gebaut, renoviert, erzeugt, gefahren und geflogen werden muss, ist es eben mitunter laut. Das ist der Preis des Lebens in einer industriellen Umgebung. Man wird vielleicht krank, und man kann nicht mehr denken, dafür aber ist man schneller dort. Wenn wir uns diesem Lärm ausliefern, unterwerfen wir uns letztlich einem selbstgewählten Lebensstil.
Aber auch dort, wo keine Notwendigkeit vorliegt, genießt der maschineninduzierte Lärm oft Vorrang. Das verbindet den Verbrennungsmotor mit Schopenhauers knallenden Peitschen. Wer je erlebt hat, wie die morgendliche Stille in einem hochalpinen Tal über Kilometer hinweg vom triumphierenden Aufheulen eines einzigen Motorrades durchschnitten wird, weiß, wovon die Rede ist. Die Lust, die diese Maschinen erlauben, ist offenbar untrennbar an den Lärm eines Motors gebunden und demonstriert wie wenig andere Geräte paradigmatisch den Herrschaftsanspruch des Lärms: Selbst durch einen Helm und Kopfhörer geschützt, werden alle anderen, Passanten, Radfahrer, Anrainer, Tier und Mensch, dem Lärmterror ausgesetzt: Jetzt komme ich, und ich darf lärmen, weil ich nichts anderes tue, als das eigentliche Kultobjekt unserer Mobilitätskultur zu betätigen: den Verbrennungsmotor. Vielleicht hat sich der Elektromotor bisher deshalb nicht durchgesetzt, weil er zu leise ist und wenig zur Demonstration von Herrschaftsansprüchen taugt. Ganze Regionen beugen sich willig diesem Herrschaftsanspruch. Als Beispiel mögen die Dolomiten gelten, wo seit Jahren darüber debattiert wird, wie in dieser einzigartigen, mittlerweile von der Unesco zum Weltnaturerbe erhobenen Landschaft der Verkehrslärm, der Wanderer, Bergsteiger, Radfahrer und Kletterer zermürbt und vertreibt, eingedämmt werden kann. Ohne Ergebnis. Eher nimmt man es in Kauf, Erholungssuchende, die Tage, ja Wochen in dieser Region verbringen würden, zu vertreiben, als dass man etwas gegen jene unternähme, die mit jaulenden Motoren über die Pässe brausen, vielleicht einmal übernachten, um dann wieder zu verschwinden. Dies zeigt, gegen jede ökonomische Vernunft, eine Unterwerfung unter das Diktat des Lärms, auch noch in einer Zeit, in der klar ist, dass Grenzen gezogen werden müssten, die Menschen, aber auch Tiere vor diesen akustischen Zumutungen wenigstens einigermaßen schützen.
Wer lärmt, hat recht: Akustische Herrschaftsformen in einer technisierten Gesellschaft besagen nicht – oder zumindest nicht nur –, dass sich soziale und politische Dominanzansprüche auch darin erweisen, dass sie auch mithilfe modernster Technologien versuchen, den öffentlichen und zunehmend auch privaten Raum akustisch zu besetzen, sondern die Existenz und Inbetriebnahme geräuscherzeugender Maschinen stellt an sich einen genuinen Herrschaftsanspruch dar. Die Geräte sind keine Medien, also Mittler, denen wir zuhören, um damit einem anderen zu gehorchen, sondern indem wir uns – freiwillig oder gezwungen – ihren akustischen Parametern unterwerfen, gehorchen wir den Maschinen und machen deren akustische Imperative zu unseren. Günther Anders hat einmal die interessante Überlegung angestellt, dass Menschen nur solche Geräte haben und benutzen sollten, die auch den Imperativen der Humanität genügen. Ein kleines Gedankenexperiment dazu kann dies veranschaulichen: Man hätte, etwa nach der Erfindung des Verbrennungsmotors, sagen können, auf eine Technologie, die so viel notwendigen Lärm, so viel Geknalle und Gejaule erzeugt, die jede Form des Denkens sabotiert, wollen wir verzichten. Das war und ist nur schwer möglich. Der Kampf gegen den Lärm dieser Welt ist auch deshalb so mühsam, weil es ein Kampf gegen mittlerweile verinnerlichte Imperative ist. Was nicht laut ist und schreit, was nicht schrill ist und grell, findet einfach unsere Aufmerksamkeit nicht mehr. Von Denken kann in solch einer Welt aber keine Rede mehr sein.
Freiwillige vor!
An der Grenze zwischen Profession und
Weitere Kostenlose Bücher