Lob der Stiefmutter
liebkoste: »Auch diese kleinen Geräusche, das bist du, Lukrezia. Sie sind dein Konzert, deine akustische Person.« Er war sicher, daß er sie sofort wiedererkennen, sie von den Tönen jedes anderen Frauenleibes unterscheiden könnte. Eine Vermutung, die sich freilich nicht überprüfen ließ, denn niemals würde er die Erfahrung suchen, mit einer anderen Liebe zu hören. Wozu sollte er es tun? War Lukrezia denn nicht ein unendlich tieferOzean, den er, der liebende Taucher, niemals ganz ergründen würde? »Ich liebe dich«, murmelte er und spürte abermals den Beginn einer Erektion. Er bannte sie mit einer Kopfnuß, die ihn nicht nur zusammenknicken, sondern auch in lautes Lachen ausbrechen ließ. »Wer allein lacht, lacht über seine bösen Taten!« hörte er die mahnende Stimme seiner Frau vom Schlafzimmer her. Ach, wenn Lukrezia wüßte, worüber er lachte.
Ihre Stimme zu hören, ihre Nähe und Existenz bestätigt zu wissen, machte ihn überglücklich. ›Das Glück existiert‹, wiederholte er sich, wie jeden Abend. Ja, aber man mußte es dort suchen, wo es möglich war. Im eigenen Körper und in dem der Geliebten, zum Beispiel; allein und im Bad; Stunden oder Minuten und auf einem Bett, das man mit dem so sehr begehrten Wesen teilte. Denn das Glück war zeitlich, individuell, in Ausnahmefällen dual, höchst selten dreigeteilt und niemals kollektiv, gemeinschaftlich. Es verbarg sich, gleich einer Perle in ihrer Seemuschel, in gewissen Riten oder zeremoniösen Verrichtungen, die dem Menschen eine blitzhafte Illusion von Vollkommenheit vorgaukelten. Man mußte sich mit diesen Brosamen begnügen, um nicht unruhig und verzweifelt zu leben und dem Unmöglichen hinterherzujagen. ›Das Glück verbirgt sich in der Höhlung meiner Ohren‹, dachte er gutgelaunt. Er war fertig mit der Reinigung der Gehörgänge beider Ohren und hatte jetzt die feuchten Wattekügelchen vor sich, getränkt mit dergelben, fettigen Substanz, die er aus ihnen herausgeholt hatte. Jetzt mußte er sie noch trocknen, damit jene Wassertropfen nicht irgendeinen Schmutz in ihnen kristallisierten, bevor sie verdunsteten. Noch einmal rollte er zwei Wattekügelchen um die Haarnadel und rieb sich die Gehörgänge so sanft, daß es schien, er massierte oder liebkoste sie. Dann warf er die Kügelchen in die Toilette und zog ab. Er säuberte die Haarnadel und verwahrte sie in dem Aloeholzkästchen seiner Frau.
Er nahm eine letzte Inspektion seiner Ohren im Spiegel vor. Er fühlte sich zufrieden und tatkräftig. Da waren sie, diese knorpeligen Kegel, außen und innen sauber, bereit, sich zu neigen und respektvoll und hemmungslos dem Körper der Geliebten zu lauschen.
4.
Augen wie Leuchtkäfer
›Vierzig Jahre alt zu werden ist also gar nicht so schlimm‹, dachte Doña Lukrezia, während sie sich in dem dunklen Zimmer rekelte. Sie fühlte sich jung, schön und glücklich. Das Glück existierte also? Rigoberto behauptete das, »für die Dauer einiger Augenblicke und für uns zwei«. Es war demnach kein leeres Wort, ein Zustand, den nur Einfaltspinsel erreichten? Ihr Mann liebte sie, er bewies es ihr tagtäglich durch tausend zartfühlende Kleinigkeiten, und fast jede Nacht erbat er mit jugendlichem Feuer ihre Gunst. Auch er schien sich verjüngt zu haben, seit sie vor vier Monaten beschlossen hatten zu heiraten. Die Befürchtungen, die sie so lange Zeit an diesem Schritt gehindert hatten – ihre erste Ehe war eine Katastrophe gewesen und die Scheidung ein alptraumhafter Todeskampf geldgieriger Winkeladvokaten –, gehörten der Vergangenheit an. Gleich im ersten Augenblick hatte sie ihr neues Heim mit sicherer Hand in Besitz genommen. Als erstes hatte sie sämtliche Zimmer anders eingerichtet, damit nichts an die verstorbene Frau Don Rigobertos erinnerte, und jetzt regierte sie dieses Haus mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre sie seit jeher die Hausherrin gewesen. Nur die vorherige Köchinwar ihr mit einer gewissen Feindseligkeit begegnet, und sie mußte sie ersetzen. Die anderen Hausangestellten vertrugen sich sehr gut mit ihr. Vor allem Justiniana, die, von Doña Lukrezia zur Zofe befördert, sich als wahre Perle erwies: tüchtig, aufgeweckt, peinlich sauber und von bewährter Ergebenheit.
Ihr größter Erfolg war jedoch die Beziehung zu dem Kind, einst ihre größte Besorgnis, ein unüberwindliches Hindernis, wie sie geglaubt hatte. ›Ein Stiefsohn‹, hatte sie gedacht, als Rigoberto darauf bestand, ihrer gleichsam heimlichen Liebe ein
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