Lobgesang auf Leibowitz
Knüttel neugierig gegen den Bogen stieß.
Während der Untersuchung des Pilgers hatte sich der Novize, sehr besorgt um seine Behausung, langsam genähert. Der Pilger beantwortete das Kläffen mit Knüppelschwenken und einem blutdurstigen Geheul. Im Nu stolperte Bruder Francis über den Saum seines Gewandes und fiel nieder. Der Alte lachte vor sich hin.
»Hmmm – hnnn. Du wirst einen komisch geformten Stein brauchen, um diese Lücke da zu füllen«, sagte er und bewegte klappernd seinen Stab in einer gähnenden Lücke der obersten Steinreihe hin und her.
Der Bursche nickte und blickte weg. Er blieb im Sand hocken und hoffte, daß sein Schweigen, sein zum Boden gerichteter unbeweglicher Blick dem Alten zu verstehen gäben, daß ihm weder freistand sich zu unterhalten, noch von sich aus in die Anwesenheit von jemand am Ort seiner Fasteneinsamkeit einzuwilligen. Der Novize fing mit einem dürren Zweig in den Sand zu schreiben an: Et ne nos inducas in…
»Ich habe mich noch nicht erboten, diese Steine für dich in Brot zu verwandeln, oder?« sagte der alte Reisende ärgerlich.
Bruder Francis blickte flüchtig auf. Aha, der Alte konnte also lesen, und die Heilige Schrift noch obendrein. Überdies ließ seine Bemerkung erkennen, daß er sowohl die impulsive Anwendung von Weihwasser als auch den Grund für die Anwesenheit des Novizen hier begriff. Bruder Francis wurde bewußt, daß ihn der Pilger nur aufzog. Er schlug seine Augen nieder und wartete.
»Hmmm-hnnn! Man soll dich also allein lassen, was? Na gut, ich werde mich also besser auf meinen Weg machen. Sag mal, werden deine Brüder in der Abtei einem alten Mann gestatten, sich ein bißchen im Schatten auszuruhen?«
Bruder Francis nickte. »Sie werden dich auch speisen und tränken«, fügte er leise und voll der Nächstenliebe hinzu.
Der Pilger schmunzelte. »Bevor ich gehe, werde ich dir dafür einen Stein suchen, der in die Lücke paßt. Gott mit dir!«
Aber das brauchst du nicht. Der Einspruch blieb unausgesprochen. Bruder Francis sah ihn langsam weghumpeln. Der Pilger wanderte kreuz und quer zwischen den Schutthügeln umher. Manchmal blieb er stehen und prüfte einen Stein, stocherte an ihm mit seinem Stab herum. Die Suche würde sich bestimmt als erfolglos erweisen, dachte der Novize, denn sie war nichts als eine Wiederholung der Suche, auf die er selbst seit dem Morgen gegangen war. Schließlich hatte er entschieden, daß es leichter sein würde, einen Teil der obersten Reihe niederzureißen und neu wieder aufzubauen, als einen Schlußstein zu finden, der ungefähr den Umriß einer Sanduhr haben müßte wie die Lücke in der Reihe. Der Pilger würde sicher bald die Geduld verlieren und weiterwandern.
Inzwischen ruhte sich Bruder Francis aus. Er betete um Wiedererlangung jener inneren Ruhe, die zu suchen ihm der Zweck seiner Andachtsübung befahl: dem Geist ein reines Pergament sein, darauf vielleicht in seiner Abgeschiedenheit die Worte einer Anrufung geschrieben würden, wenn die jenseitige unermeßliche Einsamkeit Gott ihre Hand ausstreckte, um seine eigne winzige Menscheneinsamkeit zu berühren und so die Berufung auszusprechen. Als Anleitung seiner Meditation diente das »Büchlein«, das Prior Cheroki letzten Sonntag bei ihm zurückgelassen hatte. Es war jahrhundertealt und hieß Libellus Leibowitz, obwohl nur eine ungewisse Überlieferung die Autorschaft dem Seligen selbst zuschrieb.
»Parum equidem te diligebam, Domine, juventute mea; quare doleo nimis… Zu wenig o Herr, liebte ich Dich in der Zeit meiner Jugend, deshalb gräme ich mich so sehr in meinem Alter. Vergeblich floh ich Dich in jenen Tagen…«
»Hoi! Du dort!« rief es hinter den Schutthügeln hervor.
Bruder Francis schaute flüchtig auf, doch der Pilger war nicht zu sehen. Sein Blick fiel auf die Seite zurück.
»Repugnans tibi, ansus sum quaerere quidquid doctius mihi fide, certius spe, aut dulcius caritate visum esset. Quis itaque stultior me…«
»He, Junge!« rief es wieder. »Ich hab den Stein für dich gefunden, einen, der wahrscheinlich passen wird.«
Als Bruder Francis diesmal aufblickte, bekam er flüchtig den Stab des Pilgers zu sehen, der ihm hinter einem Schutthaufen hervor Zeichen gab. Seufzend wendete sich der Novize wieder dem Lesen zu.
»O inscrutabilis Scrutator animarum, cui patet omne cor, si me vocaveras, olim a te fugeram. Si autem nunc velis vocare me indignum…«
Dann voll Ungeduld hinter dem Schutthaufen hervor: »Also gut, tu, was du willst! Ich
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