Lockruf der Toten / Magischer Thriller
Geister gibt. Nichts ruiniert eine falsche Séance so gründlich wie ein echter Geist, der einem währenddessen ins Ohr brüllt.
Also trat ich in den Garten hinaus und wappnete mich innerlich gegen die Möglichkeit, dass mein scheuer Geist von vorhin wieder da war. Aber zu meiner Erleichterung schien die Anwesenheit der anderen ihn verscheucht zu haben. Oder ich hatte wirklich Glück, und er hatte bereits aufgegeben und sich ganz verzogen.
Wie Schulkinder, die sich heimlich von einem Ausflug entfernen, stahlen wir uns in den Garten, kicherten und flüsterten und hofften, die Nachbarn würden uns nicht hören.
Es war Mitternacht. Geisterstunde, und ich war mir sicher, dass die Texter genau das nach Kräften betonen würden, wenn sie die Einführung zu diesem Teil schrieben. Der Vollmond und das leise Rascheln des Windes in den Büschen schadeten der Stimmung auch nicht gerade.
»Schade, dass wir es nicht nebenan machen können«, sagte jemand. »Direkt am Mordschauplatz. Dort hinten haben sie sie doch gefunden, oder?«
»Beim Poolhaus.« Becky wandte sich an den Kameramann. »Kriegen wir das als Hintergrund mit ins Bild?«
»Vielleicht könnten wir uns ein bisschen Erde von der Stelle beschaffen«, sagte Grady.
Becky sah zu den Männern vom Sicherheitsdienst hinüber. »Freiwillige?«
»Ich mach’s«, sagte ich.
Alle Köpfe drehten sich in meine Richtung.
»Oh, kommt schon«, sagte ich. »Was macht sich besser im Film? Ein Sicherheitsmann, der über diesen Zaun springt? Oder ich?« Ich wandte mich an Angelique. »Außer, du würdest gern?«
Sie wich vor mir zurück, als hätte ich ihr vorgeschlagen, ein Grab zu schänden. »Oh, nein, das könnte ich nicht. Mein Kleid …«
»Dann werd ich es wohl machen müssen.« Ich zog mir die Slingpumps von den Füßen und reichte sie dem nächststehenden Wachmann. »So, Jungs, wer von euch hilft mir jetzt über den Zaun?«
Und so schlich ich mich in Nachbars Garten und sammelte hinter dem Poolhaus etwas Erde ein. Als ich wieder auf der richtigen Seite des Zauns war, waren meine Füße erdig, Zweige hingen mir im Haar, und ich war mir sicher, dass ich den einen oder anderen Dreckfleck im Gesicht hatte. Aber ich bekam meinen Applaus, ein paar Lacher und eine Filmaufnahme, in der ein niedlicher junger Sicherheitsmann mir im Brunnenbecken die Füße wusch.
»Okay«, sagte ich, während ich mich auf den hilfsbereiten Wachmann stützte und mir die Schuhe wieder überzog. »Zeit für die Séance. Angelique? Du bist dran.«
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3 Tansy Lane
E in Medium arbeitet hauptsächlich mit zwei Hilfsmitteln. Aber keins davon hat irgendetwas mit dem Beschwören von Geistern zu tun. Diese beiden Hilfsmittel heißen Vorkenntnisse und statistische Wahrscheinlichkeit. Oder, wie sie auch oft genannt werden:
warm reading
und
cold reading.
Beim
cold reading
nutzt man die statistische Wahrscheinlichkeit, um beliebige Vermutungen über eine Person oder ein Publikum aufzustellen. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich den Geist eines Mannes sehe, eines Menschen, den Sie verloren haben, dann gehe ich davon aus, dass die Mehrheit unter Ihnen im Leben schon einmal einen männlichen Freund oder Verwandten verloren hat. Wenn ich dann sage, dass sein Name mit einem J anfängt – und dass dies ein Vorname, vielleicht aber auch der zweite Vorname oder ein Spitzname ist –, dann stehen die Chancen gut, dass Ihnen ein toter männlicher Angehöriger oder Freund einfällt, dessen Name mit einem so häufigen Anfangsbuchstaben begann. Als Nächstes werde ich »Details« erwähnen, die mir von Ihrem toten Verwandten genannt wurden. Ich werde schnell sprechen und dabei Ihre Reaktionen beobachten, um mit meinen nächsten Aussagen auf sie eingehen zu können, und sehr bald werden Sie überzeugt sein, dass ich tatsächlich gerade mit Ihrem verblichenen Cousin zweiten Grades namens Joey spreche … der Sie vermisst – das nur nebenbei –, aber er ist an einem schönen Ort, wo es ihm gutgeht.
Dann gibt es noch das
warm reading,
bei dem Vorkenntnisse zum Einsatz kommen. Vielleicht haben Sie auf dem Weg in den Saal kurz mit einem Mitglied meiner Crew geschwatzt – die sind alle so hilfsbereit und freundlich. Vielleicht hat einer von ihnen auch gehört, wie Sie sich mit Ihrer Begleitperson über denjenigen unterhalten haben, von dem Sie sich wünschen, ich möge ihn kontaktieren. Oder vielleicht haben Sie es auch auf dem Fragebogen erwähnt, den Sie eingesandt haben, dem, der eigentlich anonym
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