Du weckst mein Verlangen
1. KAPITEL
Es hatte den ganzen Tag geschneit. Eine dicke Schneedecke lag auf den Hochmooren Northumbrias, und die Gipfel der Cheviot Hills sahen aus wie mit Puderzucker bestäubt. Wirklich malerisch, dachte Emma, aber jetzt mit dem Auto unterwegs zu sein, macht echt keinen Spaß. Im Schritttempo fuhr sie in die nächste Kurve. Mit dem Einsetzen der Dämmerung begann die Temperatur zu sinken, und da abseits der Hauptstraßen nicht gestreut wurde, war es spiegelglatt.
Im Nordosten Englands schneite es im Winter meistens, aber im März eigentlich nicht mehr. Glücklicherweise konnte sich Emma auf ihren alten Geländewagen verlassen. Er hatte schon auf dem schottischen Bergbauernhof ihrer Eltern treue Dienste geleistet, und der Allradantrieb erwies sich als Segen bei diesem Wetter. Außerdem war der Wagen praktisch und robust. Vergleichbar mit mir, dachte Emma. Ich sehe aus wie ein Michelin-Männchen! Immerhin hielten die dicke Skijacke, die sie über der Schwesterntracht trug, und die unförmigen Stiefel sie warm, und nur darauf kam es an.
Die enge Straße schlängelte sich steil bergauf. Zu beiden Seiten türmten sich hohe Schneewände, da ein Farmer mit seinem Traktor die Straße geräumt hatte. Bis zu Emmas Ziel, Nunstead Hall, waren es noch ungefähr vier Kilometer. Allmählich fragte sie sich ernsthaft, ob sie es überhaupt noch bis dahin schaffen würde. Und wenn ja, ob sie dann noch zurückkäme. Sie dachte kurz daran umzukehren, aber sie hatte Cordelia jetzt zwei Tage lang nicht gesehen und machte sich Sorgen um die alte Dame, die ganz allein hier draußen lebte.
Bei dem Gedanken an ihre Patientin runzelte Emma besorgt die Stirn. Cordelia Symmonds, inzwischen weit in den Achtzigern, verteidigte ihre Unabhängigkeit wie eine Löwin. Vor einem halben Jahr war sie jedoch gestürzt und hatte sich die Hüfte gebrochen. Und vor Kurzem hatte sie sich beim Kochen dann auch noch die Hand verbrannt. Sie wurde einfach zunehmend gebrechlich, weigerte sich jedoch, Nunstead Hall zu verlassen und in ein kleineres Haus im Dorf zu ziehen.
Würde sich nur ihr Enkel mehr um sie kümmern! Aber offensichtlich ist ihm seine Karriere wichtiger als seine Großmutter. Wenn Cordelia von ihm sprach, schwangen Stolz und Zuneigung in ihrer Stimme mit. Leider schien dieser Enkel ihre Gefühle nicht zu erwidern.
Wie ungerecht, dachte Emma wütend. Die Altenpflege war ihr eine Herzensangelegenheit. Insbesondere seit diesem schrecklichen Tag Anfang des Jahres. Sie hatte Mr Jeffries, einen neunzigjährigen Mann, besuchen wollen und fand ihn tot auf. Im Sessel sitzend war er in seinem eiskalten Haus gestorben. Seine Angehörigen befanden sich im Weihnachtsurlaub und hatten versäumt, jemanden zu beauftragen, der ab und zu nach ihm sah. Die tragische Geschichte verfolgte Emma immer noch.
Und deshalb konnte sie auch nicht zulassen, dass Cordelia weiterhin allein in ihrem Haus blieb. Vielleicht kann ich diesen Enkel ja irgendwie erreichen und ihn überreden, sich um seine Großmutter zu kümmern?
Das Auto schlingerte, und Emma konzentrierte sich wieder auf die Straße, die sie im dichten Schneetreiben mehr erahnen als sehen konnte. Hinter ihr lag ein langer, anstrengender Tag. Nur noch diesen einen Besuch, gelobte sie sich. Dann hole ich Holly von der Tagesmutter ab, mache den Kamin an und koche uns etwas Leckeres.
Nervös kaute sie auf der Unterlippe. Hollys Husten beunruhigte sie. Die Erkältung wollte einfach nicht weggehen, und der lange Winter machte die Situation nicht besser. Hoffentlich kam der Frühling bald. Ein bisschen Sonne und frische Luft würden ihrer Tochter unendlich guttun und wieder etwas Farbe auf ihre blassen Wangen zaubern.
Emma nahm die nächste Kurve … und schrie auf! Sie blickte frontal in ein Paar Scheinwerfer, hatte aber dennoch den Weitblick, vorsichtig zu bremsen und ihr Auto langsam zum Stehen zu bringen. Der Fahrer hatte auf der vereisten Fahrbahn offensichtlich die Kontrolle über seinen Wagen verloren und war in einer Schneewehe gelandet. Außerdem steckte das Heck halb in einem Graben.
Die Fahrertür ging auf, und ein Mann hievte sich heraus. Er schien glücklicherweise unverletzt zu sein.
Emma beugte sich zur Beifahrerseite und kurbelte die Scheibe hinunter. „Alles okay bei Ihnen?“
„Bei mir schon. Bei meinem Auto weniger.“ Der Fahrer deutete auf seinen schnittigen Sportwagen.
Emma meinte einen leichten Akzent herauszuhören, den sie jedoch nicht einordnen konnte. Bei dem dunklen Timbre,
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