Lockruf der Toten / Magischer Thriller
bleiben sollte. Wie auch immer, zufällig weiß ich, dass Sie dort auf dem Sitz mit der Nummer D45 insgeheim darum beten, Ihr Cousin zweiten Grades Joey möge sich mit einer Nachricht für Sie einfinden. Ja nun, er hat es tatsächlich getan, und er vermisst Sie, aber er ist an einem schönen Ort, und es geht ihm gut.
Wenn man allerdings einen bestimmten Geist beschwören will, zum Beispiel Tansy Lane, dann kommt man mit statistischer Wahrscheinlichkeit nicht weit. Was Angelique jetzt also brauchte, war Wissen. Ihre Erinnerungen an das, was sie über den Fall gehört hatte. Da Tansy aber bereits tot gewesen war, als Angelique auf die Welt kam, war das für Angelique nicht so einfach. Hätte sie den Beitrag nach mir zugewiesen bekommen, hätte sie immerhin auf dem aufbauen können, was ich bereits von Tansy »erfahren« hatte. So allerdings hatte sie ein Problem.
»Tansy? Bist du das?« Angelique kniff die Augen zusammen, als versuchte sie, im Dunkeln zu sehen. »Sie hat Schwierigkeiten überzutreten. Bei traumatisierten Geistern ist das oft so.«
Nach zwei Minuten ohne weitere Informationen sagte Becky zu dem Kameramann, er solle aufhören zu filmen. Ich setzte mich auf eine steinerne Bank und wartete darauf, dass ich an die Reihe kam. So, wie die Dinge sich anließen, würde es nicht mehr lang dauern.
»Ich glaube, ich sehe sie«, sagte Angelique. »Ihr Haar … es ist hell. Nein, vielleicht dunkel …«
Ein Wispern glitt an meinem Ohr vorbei, und ich fuhr herum. Fast wäre ich von der Bank gefallen. Ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, mich umzusehen, und hielt den Blick geradeaus gerichtet. Das Wispern schien um mich herumzukreisen, ein
pst-pst-pst,
bei dem sich mir die Härchen im Nacken aufstellten.
Finger streiften meinen Arm. Ich kniff die Augen zusammen und zog mich auf die primitivste aller Reaktionen zurück: Ich hielt mir in Gedanken die Ohren zu, schloss fest die Augen und wiederholte immerfort: »Ich höre dich nicht. Ich höre dich nicht.« So albern und unreif ich mir dabei vorkam, ich konnte nichts anderes tun angesichts all der Leute. Ignorier’s ganz einfach und hoff darauf, dass es verschwindet.
Jemand versetzte mir eine Ohrfeige. Ein knallender Schlag auf die Wange, so hart, dass ich keuchte und zur Seite torkelte. Die Überraschung ging sofort in Wut über, und ich sah das Gesicht meiner Mutter, hörte ihre Stimme, die »Du brauchst mich gar nicht so anzusehen, Jaime. Ich habe mir bloß deine Aufmerksamkeit gesichert« sagte, während mir die Wange von der Ohrfeige noch brannte.
Ich hob die Hand zum Gesicht.
Als ich aufblickte, stellte ich fest, dass sämtliche Augen auf mich gerichtet waren, und ich begriff, dass mein Keuchen ziemlich laut gewesen sein musste. Selbst Angelique hatte sich unterbrochen und starrte mich wütend an.
»Es tut mir leid. Ich habe gedacht, ich …«, ich schüttelte den Kopf, »… egal. Es tut mir leid.«
»O mein Gott, dein Gesicht!«, sagte Becky. »Da ist ja ein Abdruck. Brian, komm mit der Kamera hier rüber.«
Verdammt.
Es gibt nichts Unprofessionelleres, als die Séance einer Kollegin zu sabotieren. Angeliques Blick wurde mörderisch. Noch schlimmer war Gradys Stirnrunzeln. Es teilte mir mit, dass er derart schmutzige Tricks von mir nicht erwartet hatte und sich vornahm, in Zukunft auf der Hut zu sein.
»Es ist nichts …«, ich rieb mir die Wange, »irgendwas hat mich gestochen. Es tut mir so leid. Bitte, Angelique, mach weiter. Ich möchte mich wirklich entschuldigen.«
»Ich wollte Angel gerade bitten, einen Moment Pause zu machen«, sagte Becky. »Aber vielleicht kannst du ihr ja auch helfen, Tansy aus ihrer Zwischenwelt herausziehen.«
»Ich weiß nicht, ob ich mich einmischen sollte …«
Angelique fuhr herum. Ihre Augen glühten vor Frustration. Ihre erste große Chance, und sie setzte sie gerade in den Sand. Sie würde den Teufel tun und allein vor die Hunde gehen.
»Oh, Jaime«, sagte sie, während sie nach meinen Händen griff, »es wäre wirklich eine Ehre, wenn du helfen würdest. Außer natürlich, du möchtest lieber nicht. Ich habe gehört, du hast in letzter Zeit Schwierigkeiten gehabt …«
Ich lachte. »Ich wüsste wirklich gern, wer dir das erzählt hat. Sehen wir mal, was ich ausrichten kann.«
Nach ein paar Minuten intensiver Konzentration wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Im Gegensatz zu Angelique war ich schon lang genug im Geschäft, um dies nach schwerer Arbeit aussehen zu lassen. Als ich »fertig«
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